BART DES PROPHETEN

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Mein Vetter hatte dieses Talent für ,, last lines", wie man es im Englischen nennt, in besonderem Maße und er hatte unter Umständen sogar den Mut, aus solchen letzten Zeilen eine erste Zeile zu machen. Als Daudet in Paris plötzlich starb, begann sein Nekrolog mit der unvergeßlichen Wendung: ,, Ein schar­manter Mund hat sich für immer geschlossen"; als Mitterwurzer, der große Schauspieler und vielleicht noch größere Komödiant, abging, mit den Worten: ,, Mit einer seiner plötzlichen Wendun­gen ist er uns entglitten." Es war wie ein Blitzlicht, das die Züge eines Toten überglänzt, sein Geheimnis nicht enträtselnd, aber ins Licht rückend. Hofmannsthal ging ihm in einem seiner schönsten Gedichte nach, das den unsterblichen Vers ent­hält: ,, Was aber war er und was war er nicht?" Freilich, das war nicht für die Zeitung gedacht und geschrieben. Aber Theo­ dor Herzl , der für eine Tageszeitung schrieb, wagte dennoch, den Wienern Anatole France zu erklären und den großen Schriftsteller, der, eine Säule unseres Bildungszeitalters, alles hatte nur nicht Natur, endgültig zu charakterisieren mit dem sein Wesen in eins zusammenfassenden Schlußsatz: ,, Die Muse Anatole Frances hat den schönen Hals der unfruchtbaren Frauen."

Das nannten wir damals geistvoll. Und wir nannten es geist­reich, wenn dieser feine Kritiker etwa die Glorie eines Herbst­tages in die Wortfolge einfing: ,, Der Herbst ist gekommen wie ein junger Oberst. Er geht noch auf Eroberungen aus, aber heimlich rieselt ihm schon ein Schauer durchs Gebein." Geist­reich und noch etwas mehr als geistreich, was, nebenbei be­merkt, für den englischen Leser unübersetzbar bleibt. Das nächstgelegene Wort wäre thoughtful; aber thoughtful, gedan­kenvoll, heißt nur Gedanken haben, und geistreich: nicht nur Gedanken haben, sondern auch mit ihnen spielen können.

Das tat mein großer Vetter einige Jahre lang in Paris und Wien zum unbeschreiblichen Vergnügen seiner großen Leser­