BART DES PROPHETEN 37
Der große Vetter— unser Verhältnis erinnerte mich immer ein wenig an Andersens Märchen„Der große und der kleine Klaus“— war eine Wiener Stadtberühmtheit und war es bis nach Paris , das damals das Mekka der europäischen Literatur war. Er telegraphierte von dort täglich spaltenlange Berichte über die Dreyfus-Affäre an sein Blatt, das wir täglich lasen, und veröffentlichte in gemessenen Abständen seine von Witz und Leben sprühenden Pariser Feuilletons, die ihn rasch berühmt machten. Sie wandelten mit launiger Anmut auf Heines Spuren, wie dieser seinerseits auf Lawrence Sternes Spuren dessen „Sentimental Journey“ abwandelte; alles hängt zusammen und voneinander ab, in Literatur und Leben. Davon abgesehen, war bei dem Wiener Nachfahren eine unverkennbare Neigung zur Vertiefung von Anfang an wahrnehmbar. Hier sprach ein Heine, der auch schon Maupassant gelesen hatte und, nach dem Muster der französischen Naturalisten alle wolkige Romantik verschmähend, seinen Stil an der Wirklichkeit zu schulen nicht müde wurde.
Nach Wien kam der Vetter nur einmal im Jahr, gewöhnlich im Frühherbst, und dann fuhr er regelmäßig im offenen Fiaker — damals der Gipfel der Eleganz— bei unserem kleinen Haus vor. Die Hunde bellten und ich stürzte zur Gartentür, um ihn einzulassen. Es war immer eine freudige Überraschung, und ein- mal— ich war achtzehn oder neunzehn Jahre alt— vollzog sich diese Überraschung so jählings, daß ich einen Band Maupassant , in den ich vertieft war, nicht rasch genug beiseite- räumen konnte. Mein großer, dunkel gekleideter Vetter nahm mir das Buch, es war noch dazu„Bel Ami “, aus der Hand und machte, mit seinen elfenbeinblassen Gesichtszügen und dem blauschwarzen Seidenbart, der jetzt sein Kinn ernst umwölkte, das Gesicht eines beleidigten arabischen Scheichs. Er fand, nicht mit Unrecht, daß ich noch Zeit hätte, solche Sachen zu lesen. Aber meine Mutter, die wenig Sinn für das Pastorale hatte,


