GARTEN DER KINDHEIT

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seinem bekannten Ratsherrnbildnis künstlerisch verewigt hat. So, die Idealisierung abgerechnet, sah mein Vater in späteren Lebensjahren ungefähr aus; so war er. Ein freundlicher Mann und die Wahrheitsliebe in Person, die man ihm vom bärtig­offenen Gesicht ablas und die ihm überall das Vertrauen seiner Mitmenschen gewann, konnte er fürchterlich ausarten, wenn er betrogen wurde oder sich betrogen glaubte. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er seinen Stallwart, einen kräftig gebauten Mann in jüngeren Jahren, mit beiden Armen umfaßt und an der Stall­wand hochstemmt, um ihm in dieser unbequemen Stellung hand­greiflich seine Meinung beizubringen über den Schwund des Hafers in der Kiste, den der Appetit unserer guten alten Lucy in keineswegs zureichender Weise erklären konnte.

Eine noch schrecklichere Szene hat sich mir dauernd einge­prägt. Es war in dem Wienerwalddorf Pottenstein, wo mein Vater seine vierte und, wie ich glaube, letzte ätherische Ölfabrik, die nur noch eine elende Bretterhütte war, eben in Betrieb ge­setzt hatte. Ein Zank war zwischen meinen Eltern ausgebrochen, mein Vater sprach heftig, Mama gab achselzuckend eine gering­schätzig scharfe Antwort, und plötzlich seh' ich meinen Erzeuger, vor Zorn erbleichend, an der Kredenz, dem in hohen Ehren gehaltenen Paradestück unserer kleinbürgerlichen Einrichtung, emporgreifen und einen dort hinter einer Randleiste verbor­genen, augenscheinlich geladenen Revolver an sich reißen, den er an seine Schläfe setzt. Meine Mutter wankt, mein Vater fängt sie in seinen Armen auf und legt beschämt die Waffe nieder. Gleich darauf sehe ich den bärenstarken Mann zu ihren Füßen knien und die schwergeprüfte Frau, die diesen Auftritt nie ver­gaß, obzwar sie ihn nie erwähnte, schuljungenhaft um Ver­zeihung bitten.

Was war vorgefallen zwischen der frühergrauten Frau mit dem feinen Kameenprofil, die sich in ihren von Papa bis an sein Lebensende pietätvoll aufbewahrten Briefen immer nur als