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ERLEBTES OSTERREICH

stimmt. Meines Vaters mir unbekannt gebliebene, weil lang vor meiner Geburt verstorbene Mutter, eine geborene Keller, hatte einen Bruder, der in Würzburg , wo ihre Familie zu Hause war, einen vielfach beneideten Kolonialwarenladen betrieb. ,, Dem Herrn Keller, dem geht's gut!" sagten die Kunden, wenn sie unter dem von der gewölbten Decke niederhangenden Straußenei überlang warten mußten, ehe sie bedient werden konnten, oder den Geschäftsinhaber, mit einer wohlgelaunt brennenden Zigarre in der Hand, vor dem Geschäfte stehend, die von Engrossisten gelieferten Kaffeesäcke und Zuckerhüte der Reihe nach nur so übernehmen sahen. Aber nach dem Krimkrieg, den italienischen von 1859 und 1866 und dem österreichisch- preußischen, der auch Bayern in Mitleidenschaft zog, war der Überseehandel ins Schwanken geraten und der Onkel Keller, obwohl er ganz der­selbe geblieben war, der Konjunktur und Konkurrenz plötzlich nicht mehr gewachsen. Die wenigen Einkaufskörbe unter dem Straußenei waren jetzt rasch gefüllt und wurden immer weniger. Das Geschäft schrumpfte ein und die Familie löste sich auf. Die erwachsenen Kinder, anstatt auf die Waren von Übersee zu warten, reisten ihnen, auswandernd, nach Übersee entgegen, die Mutter starb, das Haus mußte verkauft werden. In eine Bodenkammer verbannt, sah man den früheren Besitzer zwi­schen seinen Vogelbauern am offenen Fenster daumendrehend auf den Tod warten; ein Opfer der europäischen Kriege... In meinen späteren Lebensjahren, vorzüglich in Amerika , als meine eigenen literarischen Kolonialwaren den Markt nicht mehr er­reichten, mußte ich oft, mein Schicksal mit dem seinen ver­gleichend, an diesen längst verstorbenen Würzburger Oheim denken.

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Jähzorn, Wirklichkeitssinn und Humor sollen den überliefer­ten Nürnberger Charakter auszeichnen, den Albrecht Dürer in