GARTEN DER KINDHEIT

25

angesprochen, erklärte sie, sichtlich erschrocken, nur ein einziges Gastzimmer zu besitzen, und das müßte sie erst freimachen. Was sie hierunter verstand, war dem alsbald zugänglich ge­wordenen, unbehaglichen Wohnraum nicht anzumerken; ein offenes Bett stand darin, ein Waschtisch und ein Sessel. Aber mit seiner Kerze allein gelassen, empfand mein Vater, in dem sichtlich nicht frisch überzogenen Bett auf seinem umgedrehten Reisepelz liegend, wenig Lust, das Licht auszulöschen. Vielmehr stand er nach einer Weile auf, um lufthungrig das Fenster zu öffnen, wobei ihm, neben der Bettstatt, die im Kerzenlicht blin­kende, merkwürdig hoch angebrachte Messingklinke einer soge­nannten Tapetentür unheimlich auffiel. Er öffnete sie vorsichtig und sah sich mit hochgehaltenem Licht einer liegenden Gestalt gegenüber, die es sich im Hintergrund des alkovenartigen Raumes auf einem Brettergerüst bequem gemacht zu haben schien. Aber es war kein Schläfer, sondern ein Toter, eine bereits schwärzlich angelaufene Choleraleiche. Man schrieb das Welt­ausstellungsjahr, und es hatte den Sommer über ein paar Todes­fälle in Wien und viele auf dem Lande gegeben, die von der Regierung ängstlich vertuscht worden waren. Der tote Wirt, den die Frau im Alkoven offenbar versteckt hatte, um für den späten Gast das Zimmer freizumachen, war einer von ihnen. Mein Vater stand eine Weile mit dem herabbrennenden Licht in der Hand, dann hob er mit zwei Fingern den ausgebreiteten Reise­pelz aus dem bis zuletzt vom Vorgänger benutzten Bett und schlich in die Wirtsstube hinüber, wo er den Rest der Nacht auf der Ofenbank recht angenehm verschlief. Am nächsten Morgen beglich er die kleine Rechnung für sein Nachtlager, ohne daß wegen des unbenutzt gebliebenen Bettes und der noch anklagend offenstehenden Tür in den anstoßenden Raum Aufklärungen verlangt oder gegeben worden wären.

Das andere Geschichtchen, ein bescheidener Beitrag zur Fami­lienchronik, ist auf einen wehmütiger nachhallenden Ton ge­