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Wohnstube hinter dem Klavier ihren brasilianischen Urwald bitter vermißten. Kirchengläubig waren beide Elternteile nicht. Aber mein Vater sagte bei jeder Gelegenheit ,, So Gott will!" und Mama, wenn mittags die Suppe kalt wurde und Papa ungeduldig ,, Jenny!" ins Schlafzimmer hinüberschrie, sah sich von uns Kindern scheinheilig in Schutz genommen mit der wie hingestreuten Bemerkung:„, Wahrscheinlich liest sie wieder Schopenhauers Kapitel, Über die Unzerstörbarkeit unseres wahren Wesens durch den Tod"". Was Mama, nach dem Suppenschöpfer greifend, milde und maliziös lächelnd hinnahm. Sie hatte ein ausgesprochenes, mit den Jahren sich vertiefendes Verhältnis zur Philosophie.
Mein Vater war ein Geschichtenerzähler, wie sein Sohn es wurde. Von den vielen Schnurren, die er mit einer angenehmen Baritonstimme und Erzählergebärden vortrefflich an den Mann zu bringen verstand, sind mir vorzüglich zwei in Erinnerung geblieben. Die eine ist gruselig, die andre bloß elegisch.
Die gruselige liegt weit zurück in den frühen siebziger Jahren, als ich noch gar nicht auf der Welt war. Meine Mutter war zur Kur in Pyrawarth , einem kleinen Frauenbad an der ungarischen Grenze, und mein Vater fuhr in seinem leichten Wägelchen, selbst kutschierend, zu ihr hinüber, um sie nach längerer Abwesenheit wieder heimzuholen. Es war eine vielstündige Fahrt und Herbst. Die Nacht brach früh herein, die elenden Landstraßen waren völlig unbeleuchtet, der übermüdete Gaul begann bedenklich zu lahmen. Mein Vater mußte sich entschließen, in einem nachtschlafenden Dörfchen vor einem schuppenartigen Einkehrwirtshaus haltzumachen, über dessen Eingangstür ein Lichtchen trübselig flackerte. Auch das Wirtshaus schlief bereits, und es dauerte eine ganze Weile, ehe die Wirtin, eine wüst aussehende Frauensperson mit einem halb verschlafenen, halb verweinten Gesicht, eine schläfrige Kerze in der Hand, miẞtrauisch im knarrenden Türspalt erschien. Von meinem Vater


