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verliebte Kronprinz, nach Wien zurückgekehrt, einen entscheidenden Schritt tut. Er schreibt an den Papst einen Brief, in dem er um Annullierung seiner aus dynastischen Gründen ihm aufgezwungenen siebenjährigen Ehe und um Bewilligung seiner Wiederverheiratung nachsucht. Was ihn zu diesem übereilten Schritt bewog, läßt sich mit einiger Sicherheit vermuten, es war wohl sein bereits weitgehend schlechtes Gewissen dem unmündigen Mädchen gegenüber, das zu verführen er sich jetzt fast schon verpflichtet fühlen mochte. Auch mag ein von mütterlicher Seite ererbtes Plus an Phantasie, wittelsbacherisches Erbteil, nicht habsburgisches, dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. Phantasie oder Gewissen oder beides: von diesem Augenblick an nimmt die Bändelei eine katastrophale Form an und geht in die Geschichte über. Denn der Heilige Vater, an den der entbrannte Thronerbe in seiner Not sich wendet, ist der fast achtzigjährige Leo XIII. , Papst, Geistespolitiker und Diplomat höchsten Ranges, der sich demgemäß entscheidet, indem er das Handschreiben des künftigen Kaisers von Österreich an Seine Apostolische Majestät, den Kaiser Franz Joseph , zur weiteren Behandlung übermittelt. Dieser nimmt sein Söhnchen ins Gebet und ringt ihm das Ehrenwort ab, daß Rudolf mit dem Mädchen brechen werde. Zwei Tage später, in dem verschneiten Lustschlößchen Mayerling , bricht Rudolf sein Ehrenwort. Nach Offiziersbegriffen bleibt ihm in solchem Falle nichts übrig als„, die Kugel".
Romeo und Julia am Kaiserhof! mochten die im Burgtheater zu klassischen Vergleichen erzogenen Wiener empfinden. Aber es war auch viel Don Carlos dieser fürstlichen Liebestragödie beigemischt. Sogar an einem zeitgemäßen Marquis Posa fehlte es nicht, der im Falle des Kronprinzen Moritz Sceps hieß und Herausgeber des auf der Titelseite sich als ,, Demokratisches Organ" bezeichnenden„ Neuen Wiener Tagblatts" war. Bei ihm lernte der Kronprinz die schwarze Kunst, einen polemischen


