GARTEN DER KINDHEIT

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weise Weltkrieg eins und zwei hätte ersparen können. Ahnungs­los hatte die kleine Vetsera, als sie ihm, frühreif und entschlos­sen, einen pikanten Roman in Aussicht stellte, nicht nur den österreichischen Kronprinzen, sondern auch Europa zur Selbst­vernichtung verführt.

Denn auch das ist noch zu sagen, daß der Verführer, wie so häufig, der Verführte war. Es war die siebzehnjährige, schlecht­behütete Baronesse, die den Balkon ihrer Wohnung stürmte, wann immer der schmucke Kronprinz, vom Exerziergelände im Prater kommend, in Generalsuniform an der Spitze seiner Bri­gade unter den Fenstern ihrer Wohnung vorbeiritt. Sie war es, die seine Bekanntschaft erzwang, indem sie ihm den ersten Brief schrieb, als eine Unbekannte, die ihm ,, gut wäre"- eine Aufforderung zum Tanz, die kaum mißzuverstehen war. Und als es dann so weit war, ist es wiederum sie, die, als ihre eigene Zofe verkleidet, wie in einer Mozart- Oper, sich in einer Mai­nacht aus dem Hause ihrer Mutter stiehlt und in einen an der Straßenecke haltenden Wagen schlüpft, um mit dem Kaisersohn unter den blühenden Kastanienbäumen der Prater- Hauptallee spazieren zu fahren. Mainächte verpflichten, und so ist weiter nicht verwunderlich, daß bereits im Juni der Roman eine be­denklichere Form annimmt. In diesem Monat findet in London das fünfzigjährige Regierungsjubiläum der Königin Viktoria statt, der, die Glückwünsche seines Vaters zu überbringen, Rudolf ausersehen ist. Er sorgt dafür, daß auch seine jüngste, kleine Herzensfreundin und ihre ahnungslose Mutter eine Ein­ladung zu den aus diesem Anlaß stattfindenden Festlichkeiten erhalten, die zu wiederholten Begegnungen erwünschte Ge­legenheit geben. Auch der frühsommerliche Hydepark lädt zu nächtlichen Spazierfahrten ein, auch hier blühen die Bäume, flammen Sterne durchs Geäst, scheint der Mond. Der von Seite des Mädchens so entschlossen angesponnene kleine Roman nimmt Dimensionen an, was sich daraus schließen läßt, daß der

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