GARTEN DER KINDHEIT

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wehrschuß nicht vereinigen ließ, überlebte den Tag nicht. Schon vierundzwanzig Stunden später wurde aus dem Herzschlag ein Jagdunfall. Am dritten Tag gab man den Selbstmord zu, der gleichzeitig mit krankhaften ,, Verwachsungen" im Gehirn so­weit bemäntelt, wenn nicht entschuldigt wurde, daß eine zu vermutende ,, Geisteskrankheit" ein kirchliches Begräbnis er­möglichte. So setzte sich auf gebräuchlichem Umweg über Falsch­meldungen und Gerüchte der Kaiser und die Kaiserin waren in den ersten Tagen überzeugt, daß das Mädchen den Kron­prinzen ,, vergiftet" habe die Wahrheit schließlich durch. Der öffentlichen Aufbahrung in der Hofburg und dem feier­lichen Begräbnis in der Kapuzinergruft stand nichts mehr im Wege. Um so unfeierlicher und von grotesker Formlosigkeit war die Beerdigung der kleinen Baronin Vetsera . Schön an­gezogen, wie sie zwei Tage vorher von dem kupplerischen Fiaker Bratfisch nach dem Schlößchen gebracht worden war, wurde die Leiche um Mitternacht in einen Mietwagen gehoben und, von dem Polizeikommissär Baron Gorup der später Polizeipräsident wurde und einem jungen Kavalier aus dem Gefolge des Kronprinzen chaperoniert, nach dem nahegelegenen Stift Heiligenkreuz gebracht, um dort in einem über Nacht, unter Mitwirkung der beiden Herren, ausgeschaufelten Grab um sieben Uhr morgens mehr verscharrt als begraben zu wer­den. Nicht einmal ihre Mutter wurde von dem sogenannten Leichenbegängnis verständigt, wie sie auch in den vorangegan­genen Tagen, als das Mädchen aus dem Hause verschwunden war, Marys Aufenthalt, der den Behörden nur allzu bekannt war, nicht hatte erfragen können. Später tuschelte man, daß die unglückliche Frau, der man in der ,, Gesellschaft" nicht mehr begegnete, geräuschlos aus dem Wiener Polizeirayon entfernt worden war. ,, Abschaffen" nannte man es im alten Österreich .

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2 Verlorene Zeit

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