Ahnungslos betreten die beiden Wächter, wie jeden Abend, den Vor- raum. Geräuschlos sind beide überwältigt, gefesselt und nach hinten gebracht. Dieser Vorgang wiederholt sich mehrere Male, bis die ge- samte Nachtablösung. festgesetzt ist.

Die Uhr ist fast neun geworden. In Abständen von einigen Minuten verlassen nacheinander zu zweien oder zu dreien die Gefangenen das Gefängnis, und jedesmal schließt sich das Tor wie hinter einem Besucher. Die Passanten bemerken nichts und die Bewohner glauben an einen lebhaften Besuch im Gefängnis zu Castre . Innerhalb einer halben Stunde haben fast 40 Personen das Gefängnis verlassen. Am späten Abend setzt Alarm in der Stadt und der Umgebung ein. Polizei sperrt alle Straßen und kontrolliert die Passanten. Aber die Gefangenen von Castre sind bereits auf dem Wege zu den Partisanen zu den Freiheits- kämpfern in den Bergen.

6

Unter der Fahne der Menschlichkeit

Wer den ersten Gedanken der: Gerechtigkeit hatte, war ein göttlicher Mensch; aber noch göttlicher wird der sein, der ihn wirklich ausführt. Seume. ,

Die bisher bekanntgewordene Geschichte der Widerstandskämpfer gegen das blutbesudelte Hitlerregime führt den unanfechtbaren Nachweis,

daß diese Männer und Frauen niemals aus niedrigen Motiven gegen- über Deutschland , sondern aus tiefster innerer Überzeugung der Gerech- tigkeit zu dienen, gehandelt haben. Sie hatten frühzeitig die Notwendig- keit des Sturzes jener Clique politischer Abenteurer, die sich Reichsregie- rung nannte, erkannt. Aus der Kenntnis der deutschen Geschichte, dem Wissen um die wirtschaftliche und politische Entwicklung, und das Wesen der nazistischen Partei, vermochten die bewußten Hitlergegner die für das deutsche Volk hereinbrechende Katastrophe vorauszusehen. Hätten sie nur diese Einsicht gehabt und das Volk aufgeklärt, ihr Ver- dienst wäre damit schon hohe Anerkennung. Doch sie taten mehr. Unter Einsatz ihres Lebens tausende opferten es organisierten sie den aktiven Widerstand gegen das braune Regime, der von der Sabotage der Kriegsrüstung in den Betrieben bis zum bewaffneten Kampf auf offe- nem Felde reicht. Diesem ungleichen Kampf konnten sich nur Menschen hingeben, die von unbändiger Liebe zu ihrem Vaterland erfüllt waren. die es vor dem Niedergang zu bewahren suchten, die den Mut aufbrach- ten, in der Brandung des diktierten Unrechts die Fahne der Menschlich- keit zu erheben. Daher durften sie sich in keiner Beziehung dem Macht- wahn des Nazismus beugen. Und sie beugten sich nicht, auch dann nicht, wenn sie den Foltertod stets vor Augen von irregeführten deutschen Landsleuten der Vaterlandslosigkeit bezichtigt wurden. Die Widerstands- kämpfer wußten was bis heute so manch Verblendeter noch immer

108