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TAUBE UND NACHTIGALL
Taube sprach zur Nachtigall: ,, Durch der Töne süßen Schall Übertriffst du, wie mich deucht, Alles, was da kreucht und fleucht. Solche wundervollen Gaben, Sie verpflichten, die sie haben. Statt vier Wochen nur fürwahr, Singe uns das ganze Jahr." Nachtigall sprach drauf zur Taube: ,, Bist im Irrtum, wie ich glaube: Sehnsucht gibt mir Lied und Wort, Die Erfüllung bläst es fort. Sitze ich im warmen Neste,
Scheint mir Schweigen noch das Beste. Andre Zeiten, andre Normen, Suchen neue Ausdrucksformen. Wenn mein sanftes Lied verhallt, Herrscht des Flügelschlags Gewalt, Herrscht die Anmut der Gebärde, Harmonie verlangt die Erde. Lenz und Lied und Rausch betören Nur dort, wo sie hingehören. Soll der Ton erfreu'n die Seelen, Darf die Resonanz nicht fehlen. Adler, der um Firnen kreist,
Pfau, deß bunt Gefieder gleiẞt,
Rose, Aster, Schmetterling, Seine Zeit hat jedes Ding."
Mit Verständnis sollst umfassen Du die Gaben aller Rassen. Denn die Kunst aus jedem Stand Macht das Sein erst intressant.


