\

Kolin

Es war eines Abends zur Zeit des Standrechts. Der Aufseher in SS-Uniform, der mich in die Zelle ließ, durchsuchte meine Taschen nur so pro forma.

Was ist mit Ihnen? fragte er leise.

Ich weiß nicht. Sie sagten mir, daß ich morgen er- schossen werde.

Hat es Sie erschreckt?

Ich habe damit gerechnet.

Eine Weile fuhr er mechanisch über die Aufschläge meines Mantels.

Möglich, daß sie es tun. Vielleicht nicht morgen, viel- leicht später, vielleicht auch überhaupt nicht. Aber in diesen Zeiten... ist es gut, bereit zu sein...

Und wieder schwieg er.

Wenn vielleicht doch... Möchten Sie jemand etwas aus- richten lassen? Oder: möchten Sie schreiben? Nicht für jetzt, verstehen Sie, für die Zukunft, wie Sie hierhergekommen sind, ob Sie jemand verraten hat, wie sich die Leute verhalten haben... damit mit Ihnen nicht verlorengeht, was Sie wissen...;

Ob ich schreiben möchte? Wie wenn er meinen heißesten Wunsch erraten hätte.

Nach einer Weile brachte er Papier und Bleistift. Ich ver- steckte es sorgfältig, damit keine Revision es finde.

Und nie griff ich danach.

Es war zu schön ich konnte es gar nicht glauben. Zu schön, hier, im dunklen Hause, einige Wochen nach meiner Verhaftung, in der Uniform derer, die für dich nur Geschrei und Schläge hatten einen Menschen zu finden, einen Freund, der dir die Hand reicht, damit du nicht spurlos vergehst, daß du den Künftigen Botschaft senden kannst, daß du wenigstens für einen Augenblick mit denen%prechen kannst, die über- leben und die es erleben. Und gerade jetzt! Auf den Gängen riefen sie die Namen zu den Hinrichtungen auf, das Blut be- rauschte zu rohem Schreien und das Grauen schnürte die

86