= 390= bissenen Lippen beherrscht, die keinerlei Regung der Gnade zuließen.... Er war gefolgt von zwei Reichsge- richtsräten in brandroten Roben, sowie einem Laien- richter in SS.-Uniform. Die ersteren waren Fettklöße von apathischen Bewegungen und dicken Speckwülsten über dem Kragenrand, sehr im Gegensatz zum Vorsitzenden, der sofort mit hastigen Gesten in dem dickleibigen Akten- band zu wühlen begann, der vor ihm lag. Den An- geschuldigten würdigte keiner von ihnen auch nur eines Blickes. Der SS.-Mann sah stur geradeaus und schien wohl etwas Unverdauliches gegessen zu haben, das ihm be- ständig aufstieß oder rebellierte sein Magen nur aus angstgeborener Nervosität? Freilich wiesen die Mienen aller am Richtertisch ab- gespannte, schlaffe Züge auf; dennoch verrieten sie durchwegs eine erstaunliche Unruhe, als nehme etwas ihre Aufmerksamkeit viel stärker in Anspruch als der Dienst, dem sie nur gezwungenerweise nachkamen.+.. Merkwürdig, sagte sich Bert, während er breit dastand und dem üblichen Beginn der Prozedur lauschte: da sagt man immer, das Gesetz sei das einzige, was im Leben eisern feststehe, es solle die verkörperte Ruhe sein, und die Beschäftigung mit ihm nicht ohne Einwirkung auf den äußeren Habitus des Juristen bleiben bei denen hier war nichts davon zu merken! Weder beim Präsidenten, diesem zappligen Greis, der wenig sprach, aber um so mehr unter der lauernden Schärfe seiner Be- obachtung verbarg, noch bei seinen farblosen Beisitzern in der Maske fetter Grünkramhändler, noch bei dem SS.-Mann, dessen Züge Bert auffallend an seinen früheren Briefträger erinnerten, einen notorischen Trinker; wie erst recht nicht bei dem Vertreter der Anklage mit den Grimassen und dem fahrigen Wesendes geborenen Fanatikers. Bald wurde Bert auch gewahr, was die Teilnahme an seinem Prozeß störte: der politische Wirbelwind ‚hatte begreiflicherweise seinen Staub auch schon durch dieses Fenster hier geworfen... bei jedem Öffnen einer Tür, bei jeder sonstigen Bewegung im Saal entschlüpften die