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Aus seinem Nachsinnen riß ihn der Anruf seines Be­gleiters. Nun betrat er mit ihm gemeinsam den Sitzungs­saal. Es war freilich der erste, den er vom Blickwinkel des Angeschuldigten aus in seinem Leben betrachtete: ein mittelgroßer Raum von würdigem Aussehen, mit Dekorationen in Spätbarock und wie der gesamte Justiz­palast in Blau und Gold gehalten... immerhin keine Alltagsarchitektur. Die Fenster gingen auf einen sehr schmalen Binnenhof, so daß selbst an diesem hellen Vormittage nur gedämpftes Licht durch sie einfiel.

Vorläufig war der Saal so gut wie leer; denn für das Publikum blieben ja die Verhandlungen vor dem Volks­gericht meistens geschlossen, so daß sich keine Zuhörer einfinden konnten. Nur im rechten Winkel zum Richter­tisch saßen der Generalstaatsanwalt und ihm gegenüber der Protokollant in ihren Roben.... Unwillkürlich mußte Bert beim Anblick seines Gegners lächeln: es war ein bleicher Mann mit eingesunkenen Lippen und abgespann­ten Zügen, der Blick etwas schielend. Aber ein Gesicht von ganz ungewöhnlicher Vitalität, erfüllt von einem glü­henden Fanatismus, den auch die anerzogene Beherr­schung nicht zu maskieren vermochte- alles in allem ungefähr der Typ, wie sich der kleine Moritz wohl einen Großinquisitor vorstellen mochte.

Der begleitende Wachtmeister wies dem Angeklagten die Bank gegenüber dem Richtertisch und setzte sich dicht neben ihn. Nun kam auch der Verteidiger Berts in seiner Robe, winkte ihm gelassen zu und nahm mit einem leichten Ächzen hinter ihm Platz. So- nun konnte es angehen. Jetzt- murmelten Berts Lippen im stillen dem Könige Philipp in Schillers Don Carlos nach: ,, Jetzt gib mir einen Menschen, gute Vorsehung. Du hast mir viel gegeben. Schenke mir jetzt einen Menschen!"

Aber sein Wunsch blieb unerfüllt. Das Kollegium der Richter trat einige Minuten später ein: ein Senats­präsident als Vorsitzender voran, ein hagerer Mann von beträchtlichem Alter, mit faltiger Haut, die sich nahezu fleischlos über ein knochiges Gesicht spannte; ein Antlitz, von feindseligem Mißtrauen geprägt und von streng ver­