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Da wurde die Außentür seiner Zelle geöffnet. Draußen im Gang entstand ein sonst ungewohntes, lautes Sprechen. Der Einsame fuhr auf aus seinem Brüten.... Der Wachposten in graugrüner Uniform trat ein, ein gutmütiges, breit slavisches Gesicht, und fragte in gedehntem Wienerisch mit böhmischen Anklängen: ,, Hören's wollen's rasiert wer'n? Der Bader is' grad' da... i' könnt Eana aussilass'n, wann's woll'n!"
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Ein rascher Griff Berts an seine Wangen überzeugte ihn von der Notwendigkeit einer Rasur, wenngleich es in seinem Zustande ziemlich gleichgültig war, wie er aussah aber gut, das bedeutete Abwechslung, Zeitverbrauch und die Nähe eines nicht beamteten Menschen, des Bartschabers.
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Also erhob er sich zustimmend und trat durch das geöffnete Gitter in den Gang hinaus. Siehe da: nicht nur einen Menschen bekam er zu sehen, sondern ihrer gleich sechs, die alle zusammen von dem gutmütigen Beamten aus ihren Löchern gelassen worden waren. Unwillkürlich mußte Bert lächeln: da separierte die Gestapo mit Peinlichkeit ihre einzelnen Opfer in streng getrennten Käfigen, die keinerlei Ruf- oder Klopfmöglichkeiten zuließen und solch ein simpler Betreuer ihres Alltags ließ sie bei einer passenden Gelegenheit, wie in diesem Falle die Rasur, ungestört zusammenkommen, sich sehen und sogar miteinander plaudern.
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Nun erkannte sich Bert in seinem Verhalten selbst nicht recht wieder. Wie ein Verdurstender schloß er sich den sechs zerknitterten Gestalten an, die ans Ende des Ganges geführt wurden, woselbst der Friseur seine Utensilien auf einem Klapptisch aufgebaut hatte.... Merkwürdig: in der Freiheit will jeder Kunde beim Friseur gern der erste sein, der zur Verschönerung kommt. Hier dagegen sträubte sich jeder gegen den Vorrang. Denn unter dem scharfen Messer kam er um den Genuß dessen, was ihn eigentlich herausgelockt hatte: seine Unterhaltung mit den anderen. Schließlich blieb dem Wachposten nichts übrig, als die Reihenfolge zu bestimmen.


