zu retten, was noch zu retten war. Helene bat, bei den Bauern bleiben zu dürfen, sie fühlte sich einem Gewaltmarsch bis zur Elbe nicht gewachsen. Emmi und ich nahmen Abschied und liefen über Feldwege, die uns die Bauern gewiesen hatten, in genau westlicher Richtung. Wir wollten die Landstraßen mit den Tieffliegern meiden, denn der Schreck steckte uns noch in den Gliedern. Nach einigen Stunden Marsch durch einen Forst schien der Weg eine Chaussee zu kreuzen und der Waldrand glich einem Heerlager. Waffen über Waffen lagen im Schutze der Bäume. Und als wir in höchster Eile diesen gefährlichen Platz verlassen wollten, setzte eine ohrenbetäubende Kanonade ein; Flugzeuge unternahmen einen Angriff. Wir zwei rannten Hals über Kopf in den Wald zurück, immer weiter und weiter durch Gebüsch und Unterholz. Erst an einer Waldwiese machten wir halt. Ganz in der Ferne verklangen die Schüsse. Wir saßen verstört am Wegrand und beruhigten uns erst langsam in der tiefen Stille dieser Waldlichtung. Emmi hatte in ihrem Rucksack eine Büchse Ness- Kaffee aus dem Rote- Kreuz Paket, außerdem besaß sie einen kleinen Aluminiumtopf. Auf einem Feuerchen in der Wagenspur kochten wir uns mit dem braunen Wasser aus einem Moorgraben den wohlschmeckendsten Kaffee. Voller Unternehmungslust ging dann der Marsch weiter. Aber im Galopp durch den Wald hatten wir die Richtung verloren, und eine Uhr besaßen wir nicht. Es mußte schon nachmittag sein, man sah es am Stand der Sonne, und da sie im Westen untergeht, liefen wir, ohne viel zu überlegen, einfach auf sie zu. An einer Wegkreuzung kamen uns zwei Soldaten entgegen. Ich fragte sie vorsichtshalber nach Weg und Himmelsrichtung. ,, Wollen Sie zu den Amerikanern oder zu den Russen?" war die Antwort. ,, Nach dem Westen", erklärte ich. ,, Dann gehen Sie man mit uns zusammen, da haben wir den gleichen Weg", und sie wandten sich dahin, woher wir eben gekommen waren. Einen Moment stockte ich und fürchtete, im Laufe der Haft vergessen zu haben, wo die Sonne auf- und wo sie wieder untergeht; aber dann wies ich auf die Sonne, die sich bedenklich dem Horizont näherte und verlangte eine Aufklärung, wo eigentlich Westen und wo Osten sei. Ein längerer Disput wurde unterbrochen, als ein Motorradfahrer des Weges kam und die Soldaten ihn anhielten und um Rat fragten. Wir zwei waren Sieger im Streit um die Himmelsrichtungen Der Motorradfahrer aber wußte interessante Neuigkeiten zu berichten, nach denen die Russen nur wenige Kilometer hinter uns seien, die Amerikaner aber ihre Front nach Osten bis Bad Kleinen vorgeschoben hätten und das wäre in einem Tagesmarsch zu erreichen. Er beschrieb genau den Weg bis zur Eisenbahnlinie Richtung Bad Kleinen . Und von Angst getrieben und ein nahes Ziel vor Augen, beschlossen wir, erst dann Halt zu machen, wenn wir der Gefahr, den Russen in die Hände zu fallen, endgültig entronnen seien.
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Die Sonne war bereits untergegangen, als wir uns dem Bahndamm
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