Grashalme und Blüten schien ich das erste Mal im Leben zu sehen. Ich ging langsam bis zum weidenumsäumten Ufer des Sees hinab. Über mir, am blauen Frühlingshimmel, zogen irgendwelche Flugzeuge ihre Kreise. Was gingen sie mich an? Die Sonne strahlte, und das Wasser glitzerte. Ich genoß jeden Schritt und war schmerzlich glücklich. Plötzlich stürzte kerzengerade auf mich herab ein riesiges Flugzeug, und knatternd dröhnten Schüsse und der Boden spritzte von den Einschlägen der Kugeln. In wahnsinnigem Schreck warf ich mich in eine flache Sandmulde am Rande der Wiese und drückte den Körper an die kiesige Seitenwand der Grube. Wieder ließ sich das Ungeheuer herabfallen, und ich flehte nur einen Gedanken: Oh, laß mich noch ein wenig leben! Es ist so herrlich auf der Welt!" Die Schüsse knatterten von weitem und das Motoren­gedröhne entfernte sich. Das war mein erster Tieffliegerangriff in der Freiheit. Er hatte nicht mir gegolten, sondern den flüchtenden Panzern und Militärtransporten auf der Landstraße, die sich hinter dem Hügel, gleich bei der Wiese, entlangschlängelte.

92

In das Bauernhaus, in dem man uns so gastfreundlich aufgenommen hatte, drang mit den Flüchtlingen, die sich wie ein Strom über die Chaussee nach Schwerin wälzten, die Nachricht, daß die Russen die Oder überschritten hätten und nur noch sechs Kilometer von Güstrow entfernt seien. Man vernahm fernen Geschützdonner. Ich drängte zum Aufbruch. Bauer und Bäuerin rüsteten zur Flucht. Vor den Wagen mit ein paar Habseligkeiten spannten sie ihren Ochsen und das Pferd, und wir durften unsere Rucksäcke auch hinauflegen. Mit gottergebenem Gesicht lenkte der Bauer seine Fuhre durch das Gewühl auf der Landstraße. Immer wieder stockten die Wagen und wurden an den Rand der Chaussee ge­drängt, wenn die Autos der fliehenden Offiziere, Lastwagen- oder Motorradkolonnen den Treck der Bauern und der flüchtenden Städter überholten. Auf halbem Wege nach Schwerin verwehrte die Militär­polizei allen Zivilisten die Weiterfahrt und zwang die Bauernwagen, in einen Seitenweg zu fahren. Die Räder mahlten im tiefen Sand und die Tiere schafften nur mit Mühe die Last. Wir kamen zu einem Wäldchen, als es Abend wurde. Durch die ländliche Stille drang von ferne das Heulen und Knattern der Tiefflieger. Am Horizont stieg an vielen Stellen der schwarze Rauch von fernen Bränden auf und von allen Seiten vernahm man Detonationen. Wir legten uns in einer Kiefern­schonung schlafen. Bauer und Bäuerin mit ihrem kleinen Sohn bedeckten sich mit riesigen Federkissen, die sie auf der Fuhre mitgeführt hatten. Am nächsten Morgen waren wir durchweicht von leichtem Regen und die Bauersleute ganz niedergedrückt und unschlüssig, was weiter ge­schehen sollte. Sie wußten, daß es für sie zu spät sei, die amerikanische Front, die wir an der Elbe wähnten, vor den Russen zu erreichen und beschlossen, in einem nahen Wald abzuwarten, bis die Kampflinie ihr Dorf überholt hätte und dann zurückzukehren, um vom Bauernhof das

282