Frauen auf, die sofort mit allen Sachen nach vorn kommen müßten. Auch ich war unter ihnen. Ein Gewirr von Stimmen erhob sich: ,, Ihr werdet entlassen!" ,, Ihr kommt in die Freiheit!"
Alle Möglichkeiten einer Rettung hatte ich schon durchdacht: die Flucht vor den Russen mit Hilfe der Polen , das Verschwinden in einem Durcheinander, das entstehen würde, nachdem die SS das Weite gesucht hatte, aber der Gedanke an Freilassung war mir nie gekommen. Völlig gelähmt durch diese Glücksbotschaft hockte ich kopfschüttelnd zwischen Anicka und Inka in der Koje, und nach unzähligen Umarmungen und Freudenausbrüchen über diese wunderbare Rettung Anicka und Inka waren viel besorgter um mein Schicksal am Lagerende gewesen, als ich es bis dahin geahnt hatte begannen beide meinen Rucksack zu packen und mich anzuziehen. Da kam Lotte aus dem alten Lager gerannt, um atemlos vor Freude mitzuteilen, daß auch sie unter denen sei, die entlassen würden, Lotte nach neun Jahren, ich nach sieben.
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Auf der Lagerstraße stand ein Spalier von winkenden Frauen, und vorn bei der Schreibstubenbaracke warteten in Fünferreihen ungefähr sechzig deutsche und tschechische Häftlinge, alles ,, alte Ravensbrücker", die meist fünf und mehr Jahre in Haft gewesen waren.
Wir standen und grüßten immer wieder und wieder die Zurückbleibenden. Wo aber blieb Lotte? In Sorge um sie, bat ich eine Bekannte, zu ihrem Block zu laufen, um nachzufragen. Sie kam zurück und erzählte, daß Lotte, als sie eben vom ,, Industriehof" zurück zu ihrer Baracke rannte, um die Sachen zu packen, von einer Aufseherin erwischt worden sei und trotz eindringlicher Beteuerungen, daß sie entlassen werden sollte, unter Androhung von Prügel und Meldung in eine Kolonne zum Sandschippen gezwungen wurde, ausmarschieren mußte und so ihre eigene Entlassung versäumte.
Als man schon begann, unsere Namen aufzurufen, schleppte sich noch eine langsam herbei. Das war Melody. Unter diesem Namen war sie allen alten Ravensbrückern bekannt, den hatte man ihr gegeben, weil sie sehr schön pfeifen konnte und für diese im Lager verbotene Kunst mehrere Male streng bestraft worden war. Melody konnte sich mit Mühe auf den Beinen halten. Unter Aufbietung der letzten Kräfte hatte sie sich bei der Nachricht von ihrer Entlassung vom Bett aufgerafft. Sie bat uns: ,, Nehmt mich in die Mitte, damit keiner merkt, wie krank ich bin. Laẞt mich dort am Boden liegen, bis mein Name gerufen wird. Wenn ich erst in der Freiheit bin, werde ich wieder ganz gesund. Denkt euch doch, ich soll Berlin noch einmal sehen!" Sie lag von uns verdeckt an der Erde, und wirklich, als ihr Name ertönte, stand sie auf und ging mit sicheren Schritten in die Schreibstube. Ich fürchtete sehr, man würde sie wegen Krankheit zurückhalten, aber nein, sie erreichte, ohne zu wanken, ihren Platz zwischen uns und legte sich, erleichtert aufseufzend, ein glückliches Lächeln auf dem schwerkranken Gesicht, hin.
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