Volkes auf, und die deutschen Kommunistinnen wagten nicht, sich zu verteidigen. Keine warf die Frage auf: ,, Wer kämpfte denn zuerst gegen Hitler? Wieviel Tausende deutscher Politischer ließen ihr Leben im Zuchthaus und Konzentrationslager, als noch, Genosse Stalin Hitler eines Freundschaftspaktes für würdig hielt und ihm sogar deutsche Politische trotz des angeblichen Asylrechtes in der Sowjetunion auslieferte?!" Keiner machte darauf aufmerksam, daß die Marxisten auf einmal von Völkern sprachen und nicht mehr von Klassen.
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Die deutsche Armee schleppte bei ihrem Rückzug alles nur Erdenkliche an Beuteware" mit. Allein im ,, Industriehof" waren mehrere Vorratsbaracken bis an die Decke damit angefüllt. Trotzdem wurde der Mangel an Maschinenteilen, Nähnadeln und Faden in der Schneiderei immer fühlbarer. Aber das hinderte die SS nicht, das Pensum erzwingen zu wollen. Es ging zum Frühjahr, und die Häftlinge im ,, Industriehof" nähten SS - Winteruniformen für das Jahr 1945/46!! Die Russen standen an der Oder, aber in Ravensbrück baute man an einer neuen, stabilen Fabrikhalle. Schon Ende Januar begann der Starkstrom zeitweise zu versagen. Während der Arbeitszeit erstarben plötzlich die Motoren, und eine beängstigende Stille lag über der großen Fabrik halle. In immer kürzeren Intervallen blieb der Strom weg, und durch die Tage und Nächte, ohne Unterbrechung, ohne jeglichen Widerstand, zogen die Bombengeschwader über den Himmel von Ravensbrück in Richtung auf Berlin . Nicht mehr die Lagersirene bestimmte den Rhythmus unseres Häftlingsdaseins, jetzt gab es höhere Gewalten. So greifbar nahe schon das Ende schien, immer noch schlugen die Flammen aus den Krematoriumschornsteinen, und Winkelmann traf seine Wahl.
Je näher die Fronten heranrückten und je sichtbarer der Zusammenbruch der Hitler - Armee wurde, um so häufiger beschäftigte die Häftlinge die Frage: Wie wird das Ende des Konzentrationslagers sein? Wird die SS ihre Drohung wahrmachen und alle Politischen niederschießen? Von einem östlichen Lager erfuhren wir, daß die SS einfach davongelaufen sei, als die Russen kamen. So etwas konnte man also auch erhoffen. Mit Staunen beobachtete ich viele Frauen, die emsig begannen, sich auf die Freiheit vorzubereiten. Sie trugen Stoffe und Kleidungsstücke zusammen, die sie den SS - Vorräten entnahmen. Zum begehrtesten Artikel wurde ein Rucksack. Mir war der heftige Wunsch nach Freiheit verloren gegangen. Als Milena noch lebte, bedeutete Freiheit, mit ihr zusammen die erste Stadt wieder erleben, den ersten Wald gemeinsam betreten und dann in einem neuen Leben mit vereinten Kräften unser Buch über die Konzentrationslager zweier Diktaturen zu schreiben. Durch Milenas Tod war das, was sich da Freiheit nannte, nur noch ein schwacher Abglanz des einmal Erträumten. Angst quälte mich. Was wird geschehen, wenn
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