99
-
99
von an- und abfahrenden Lastautos, notierten es aber als nichts Merkwürdiges. Plötzlich näherten sich dem„ ,, Sterbestübchen", das am Ende des Korridors lag, Schritte knarrender Stiefel. Ich stieß Couri unter die Decke und legte mich halb auf sie. Die Tür wurde geöffnet und drei Uniformierte traten ein: SS - Arzt Treite, Dr. Trommel und Dr. Winkelmann. Ihre Köpfe waren in der Höhe meiner Bettdecke. Man fragte: Wieviel Kranke sind in diesem Raum?" Ich antwortete mit fiebrigem Gesicht und schwankender Stimme:„ Zwei." Was fehlt Ihnen?" war die nächste Frage. ,, Sepsis", preßte ich hervor und verlor beinahe das Gleichgewicht, denn ich stützte mich krampfhaft auf eine Hand, um höher zu liegen und Couri zu verdecken. Die drei blickten auf die unter mir Liegende und machten kehrt, um das ,, Sterbestübchen" zu verlassen. Ich befreite die nach Atem ringende Couri, und wir lachten gemeinsam, erlöst und gerettet. Dann heulte die Sirene zum Ende des Generalappells, wir überlegten schon, wie Couri am besten das Revier unbemerkt verlassen könnte, als wieder von außen das Fenster geöffnet wurde. Diesmal stand dort Danielle, leichenblaß und rief fast schreiend: ,, Couri, Couri, sie vergasen deine Mutter!!" Germaine sprang herunter vom Bett, und in ihrem Schmerz stieß sie Laute aus wie ein verwundetes Tier und schluchzte: ,, Wie konnte ich denn nur an meine eigene Rettung denken und meine Mutter vergessen?!" Couri hatte kaum die Kraft, zum Fenster des„ Sterbestübchens" hinauszusteigen.
Ganz kurz danach kam Lille und teilte mir mit, daß Anickas Freundin, Milena Fischerova, die im Block der Lungenkranken gelegen hatte, während des„ Generalappells", zusammen mit vielen anderen Tuberkulosen, aus den Betten gerissen and im Hemd auf ein Lastauto geworfen worden sei, noch lebend schon wie Leichen übereinander, und fortgeschafft wurde zum Vergasen. Anicka war zerbrochen und wir alle am Rande der Verzweiflung.
*
Im letzten Lagerhalbjahr nahm die Intensität der Diskussionen und die Aktivität unter den Politischen, besser gesagt, unter den kommuni stischen Häftlingen des Lagers, merklich zu. Sonderbar war die Stellung der deutschen Kommunistinnen in Ravensbrück . Die große Menge der unpolitischen Häftlinge aller Nationen setzten alles Deutsche im Lager gleich mit SS. Man haßte die SS und ebenso den deutschen Häftling. Das Gros der Kommunistinnen der verschiedenen Nationen aber lehnte ihre deutschen ,, Genossinnen" ebenfalls ab und erfand für ihre nationalistische Einstellung eine politische Erklärung: die deutsche Kommunistische Partei kann nicht gleichberechtigt sein, da es ihr nicht gelang, Hitlers Machtantritt durch eine Revolution zu verhindern und sie dann während der zwölf Jahre nicht fähig war, den Nationalsozialismus zu stürzen. Mit Begeisterung nahmen sie die Losung von der Schuld des ganzen deutschen
18 Buber: Gefangene.
273


