bewegten Gesichtern in den Himmel zu blicken, aber die Augen waren völlig ausdruckslos. Ich beugte mich vor, um sie besser sehen zu können, da erspähte mich eine der Aufseherinnen: ,, Was machen Sie da, Sie unverschämtes Weib! Sie kommen noch früh genug an die Reihe! Morgen werden Sie dran sein!!" Und sie drohte mir mit dem Lederriemen.
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Als ich in die Schneiderei zurückkehrte, stand Oberscharführer Graf im Büro. Ich sagte zu ihm: ,, Haben Sie diese Kolonne gesehen?! Die werden ins Gas geführt! Und die Aufseherin sagte zu mir, daß ich morgen auch drankäme!"- Graf tat zuerst, als verstehe er nicht. Dann aber, bei näherer Erläuterung, ereiferte er sich und brach los: ,, Was, die wollen es wagen, meine Häftlinge zu vergasen! Da habe ich ja auch noch ein Wort mitzureden! Aus der Schneiderei kommt mir keiner weg!" und er schmiß mit einem Knall die Tür hinter sich zu.
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Im letzten Jahr von Ravensbrück wurden im Lager viele Kinder geboren. Im Krankenrevier amtierte eine tüchtige Hebamme, und als die Geburten immer zahlreicher wurden, richtete man sogar eine Baracke für die Schwangeren und Neugeborenen ein. Es gab Tage, an denen fünf Kinder das Licht der Welt erblickten. Eine junge Tschechin, Eliska, meldete sich freiwillig zur Arbeit in der Säuglingsbaracke. Sie sammelte Stoffetzen für Windeln und Hemdchen, und der Gedanke, daß nun die Neugeborenen in Ravensbrück am Leben bleiben dürften, begeisterte uns alle. Aber für die Säuglinge des Konzentrationslagers lieferte man keine Milch und die unterernährten Mütter konnten sie nicht stillen. Man reichte den Babys irgendeine Suppe mit Zutaten aus den Rote- KreuzPaketen. Kaum einer dieser neugeborenen Häftlinge lebte länger als drei Monate. Da lagen sie in langer Reihe auf zusammengeschobenen Pritschen, mit schrumpligen Gesichtern wie kleine Greise, und Eliska erklärte nach einigen Wochen, daß sie aus dieser grauenvollen Baracke fort müsse, um nicht den Verstand zu verlieren, denn ihre Arbeit bestände lediglich im Zusehen, wie die Säuglinge langsam sterben und im Fortschaffen der kleinen Leichen: an manchen Tagen bis zu sieben.
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Sonntags gingen wir oft ins ,, alte" Lager zu Besuch. Die Baracke unserer französischen Freunde war so überfüllt, daß man sich nur schwer durch das Gewimmel winden konnte, deshalb kletterten Lille , Anicka und ich durchs hinterste Fenster des Schlafsaals hinauf zum dritten Stock, wo Couri und Danielle ihren Strohsack hatten und uns erwarteten. Zu fünft hockten wir dann unterm Dach und sprachen über die Zukunft oder ließen uns von Couri, die eigentlich Germaine hieß, Geschichten erzählen aus den Jahren, die sie als Ethnologin unter einem Nomaden
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