männlicher SS brachte sie mit Gewalt auf die Wagen, die dann die Lagermauer umfuhren bis zum Krematorium. Bis heute weiß ich nicht genau, gab es hinter dem Zellenbau eine Gaskammer oder hat man die Hunderte Frauen durch Abgase gleich in den geschlossenen Autos erstickt. Man erzählte, daß es einer vierzigjährigen Polin in der Dämmerung gelang, beim Abladen der Frauen vor dem Krematorium zu entfliehen. Sie versteckte sich dann während der Nacht bei der„ ,, Kläranlage" von Ravensbrück und wurde am nächsten Morgen von einem SS- Mann gefangen und ins Lager geführt. Unter Prügel gestand sie, vom ,, Jugendlager" zu kommen. Sie wurde dorthin zurückgebracht. Man isolierte sie von den anderen, um sie beim nächsten Transport gleich wieder aufs Vergasungsauto zu laden. Aber sie schrie, daß es weithin schallte: ,, Glaubt ja nicht, ihr kämt nach Mittweida ! Ins Gas und zum Krematorium bringt man uns!"
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So wie früher die Rauchfahnen, gehörten im Winter 1944/45 die Feuersäulen aus den Schornsteinen hinterm Zellenbau zur Silhouette von Ravensbrück . Jede Frau über fünfzig, jede Grauhaarige, jede, die nur eine Grippe gehabt hatte, alle, die den Typhus glücklich überlebten, aber nun abgemagert und noch arbeitsunfähig waren, zitterten vor den Selektionen des Dr. Winkelmann. Sie behaupteten, er blicke nur auf Haare und Gesicht und träfe danach seine Entscheidung über Leben und Tod. Die Frauen mit grauen oder gar weißen Haaren begannen sich zu färben. Sie rührten den Ruß aus dem Ofen mit etwas Wasser an und schmierten die Haare schwarz. Aber schon die nächste Erfahrung zeigte, daẞ Winkelmann nicht den Kopf beurteilte, sondern lediglich die Beine. Die blieben aber mager und an den Knöcheln verschwollen, dagegen gab es kein Mittel. Die einzige Rettung war, sofort in einen Betrieb oder eine Kolonne aufgenommen zu werden, denn die Wahl galt vor allem den ,, Verfügbaren".
Eines Vormittags räumte die Polizei die Lagerstraße. Da ich in der Schreibstube der Schneiderei arbeitete, entging mir diese Maßnahme und ganz unvorbereitet trat ich aus der Tür des Betriebes, um zum Block zu Jaufen. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, so als ob Fliegeralarm wäre. Aber jenseits des Tors, auf der Mitte der Lagerstraße, in Richtung zum ,, Industriehof" bewegte sich langsam eine große Kolonne von Frauen. Ahnungslos stand ich und wartete auf diesen merkwürdigen Zug. Sie durchschritten das Tor vom„ ,, alten" Lager her. Immer fünf hatten einander untergefaßt. Da brüllte irgendwo ein Häftlingspolizist: ,, Mach, daß du von der Lagerstraße wegkommst!!" und ich sprang zur nächsten Baracke, lehnte mich gegen die Wand und starrte fasziniert und entsetzt auf diesen Todeszug. Zwei Aufseherinnen mit Lederriemen in den Händen schlugen auf die Frauen ein, damit sie schneller gehen sollten. Aber sie setzten bedächtig einen Fuß vor den anderen. In der ersten Reihe hatten alle die gleiche Kopfhaltung; sie schienen mit un
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