nahm die SS ihnen dann die Privatkleider, Pelze, Schuhe und die Koffer mit dem letzten Besitz, gab ihnen dafür erbärmliche dünne Fetzen mit großen Farbkreuzen auf Brust und Rücken und dazu Karikaturen von Schuhen, wie es gerade kam, manchmal auch zwei rechte und vielen weder Strümpfe noch Wäsche. So beraubt und entkleidet ließ man sie in kleinen Gruppen zu dem neuen Block der Zugänge bringen, der an Stelle eines Holzdaches mit einer Zeltplane überspannt war. Als die Hunderte Wartender das sahen, versuchten manche, ihren Schmuck am Rande des Lagerplatzes in den Beeten zu vergraben, andere gerieten in maßlose Wut, warfen die Ringe, Uhren und Ketten zu Boden und trampelten alles mit den Füßen kurz und klein, zerrissen Fotografien, Briefe und allerlei Andenken, damit sie nicht in die Hände der SS fielen. Die Evakuierten, wie überhaupt die Zugänge jener Zeit, die ganz unvorbereitet in das Grauen des KZ gerieten, hatten die höchsten Sterbe­ziffern. Viele überlebten nicht das erste Vierteljahr. In den Baracken waren die Fensterscheiben zerschlagen, statt der Strohsäcke von einst, die ,, ohne Bauch" und scharfkantig hatten sein müssen, lagen die Men­schen auf verlausten, dreckigen Papiersäcken, manche noch spärlich mit Holzwolle gefüllt, ohne Laken, ohne Bettzeug, und jeder besaß lediglich eine dünne Baumwolldecke. Um Platz zu schaffen, denn es kamen vier Häftlinge auf einen Strohsack, wurden die Bettenreihen aneinander ge­schoben, so daß eine riesige dreistöckige Massenschlafstatt entstand.

Nie waren die Gegensätze im Lager so kraß wie im letzten Jahr seines Bestehens. Kinder standen bettelnd vor den Blocks der ,, Promi­nenten". In den Abfalltonnen wühlten zerlumpte, ausgemergelte Gestalten gierig nach etwas Eßbarem. Über die Lagerstraße aber ging ein wohl­genährter, rotwangiger Häftling, elegant vom Scheitel bis zur Sohle und führte den gepflegten, langhaarigen Windhund des Schutzhaftlagerführers an der Leine. Zwischen einigen Baracken auf dem am tiefsten gelegenen Lagergebiet bildete die übergetretene Kanalisation ganze Kloakentümpel, auf der zweiten und dritten Lagerstraße aber planierte die SS neue Gartenanlagen und bepflanzte sie mit jungen Bäumen. Die SS ge­stattete den Häftlingen, Chöre zu bilden, und Sonntags konnte man in manchen Blocks Gesang- und Tanzvorführungen von hohem künst­lerischen Wert erleben.

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Der ,, Industriehof" baute für ,, seine Häftlinge" Wohnbaracken gleich neben den Betrieben, und Siemens tat das gleiche. Unsere Freundinnen Lotte und Maria verließen das ,, alte Lager" und siedelten zu Siemens über. Diese neuen Unterkünfte waren im Vergleich zu den alten Wohn­blocks eng und dunkel. Sie hatten aus Sparsamkeitsgründen keine Tages­räume, weder Toiletten noch Waschgelegenheit und auch keine Betten" mehr, sondern durchgehende dreistöckige ,, Kojen". In vier Baracken

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FC