verbunden gewesen. Alle Wünsche hatten wir gemeinsam gehabt, ebenso wie die Zukunftspläne... Lotte und Maria, Lille und Anicka teilten den Schmerz um Milenas Tod, und so gehörten wir zusammen.

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Während der Krankheit hatte ich den ersten ,, linken" Brief an meine Mutter geschrieben. Eine Polin beförderte ihn, und er kam zu Hause an. Die Mutter spürte daraus meine hoffnungslose Verzweiflung und beriet mit meinem Schwager Bernhard, was zu machen sei. Er bat darum, von jetzt ab den monatlichen Brief schreiben und die Pakete schicken zu dürfen. Mein Schwager, der von Beruf Arzt ist und selbst nach 1933 im Gefängnis und Konzentrationslager gewesen war, wußte, was man einem Häftling zu schreiben hat. Er war ein Künstler im Trösten und gab nicht nur mir die Lust am Leben zurück, sondern auch vielen anderen Kameraden. Seine Briefe waren ganz persönlich. Dabei hatten wir uns über ein Jahrzehnt nicht gesehen, darum begannen sie eben bei den Ereignissen von vor fünfzehn Jahren. Aber nun erst die Pakete! Da stand z. B. im Brief: Sei bitte vorsichtig mit der Schachtel, es ist sehr schwer, welche zu beschaffen!" Das mußte eine Bedeutung haben. Ein großes Paket kam an. Die Lebensmittel mit bunten Schleifen umbunden, in den Ecken einer Papierserviette stand ganz winzig klein: Gruß und Kuẞ Bernhard." Voller Spannung hockten wir auf dem Stroh­sack und durchforschten auch das kleinste Fetzchen. Da wieder ein Zeichen! Auf einer Dropsrolle, die den schönen Namen, V- Drops" trug, war hinter den Buchstaben ,, V" eine Miniatur 3" gekritzelt. In eine Tafel Schokolade hatte er Grüße geritzt. Es nahm kein Ende mit den Überraschungen. Dann machten wir uns an das vorsichtige Zerlegen der Schachtel. Und siehe da, in jeder Seitenwand steckte ein verborgenes Bild, die farbige Reproduktion der van Gogh'schen ,, Drei Schiffe am Strand", der ,, Sonnenblumen" und Renoirs ,, Landhaus an der Seine". Die ersten bunten Kunstwerke im KZ! Mein Schwager war auch ein Meister illegaler Mitteilungen. Trotz Zensur behandelte er in immer neuen Variationen das Thema ,, Wann endet der Krieg?" Er deutete ganz kurze Termine an. Dann wurde uns wieder ein Paket beschert. Die Spannung wuchs von Mal zu Mal. Es enthielt zwölf bemalte Eier. Erst nach einer verzweifelten Debatte mit der Aufseherin der Paketausgabe, die seine Aushändigung verweigern wollte, bekam ich es. Auf jedem Hühnerei war ein Miniaturgemälde, von einem Künstler geschaffen. Blumen, Singvögel, in Erinnerung an die Tierliebe meiner Kindheit auch Kaninchen und Ziegen. Aber ein Bild war auf den ersten Blick gar nicht zu erfassen, und dann sahen wir: es stellte die Sage von Perseus und Andromache dar. Ein feuerspeiender Drachen schlängelte sich um das Ei. An der Spitze seines Reptilienschwanzes hing ein winziges rotes Hakenkreuz. Perseus in Stahlhelm und Soldatenuniform bohrte dem Untier sein Schwert in den Nacken, daß das Blut nur so spritzte. Die Flammen aus dem Schlund des Drachen umzüngelten die nackte, an einen Felsen geschmiedete

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