Außerdem war die Kontrolle so streng, daß jede schlechtgenähte Naht entdeckt werden mußte. Für ein Fetzchen entwendeten Stoffes für ein Taschentuch oder als Binde gab es bei der Entdeckung Prügel und Meldungen. Zur besonderen Leidenschaft der Aufseherin Lange gehörten die Körpervisitationen nach der Arbeit.

In diesem Sklavenbetrieb jedoch fanden sich auch Frauen, die unter Aufbietung ihrer ganzen Kraft arbeiteten. Ich will nicht von den Kriminel­len sprechen, die für ihr kriecherisches Verhalten gegenüber der SS und ihren Arbeitseifer berüchtigt waren, sondern von einigen Politischen . Da gab es z. B. die deutsche Kommunistin Maria Wiedmeier, die vor 1933 eine führende Stellung in der Kommunistischen Partei Deutschlands gehabt hatte und seit fast zehn Jahren im Zuchthaus und Lager saß. Ihre Funk­tion im ,, Industriehof" bestand darin, die Schneidereien mit den zum Nähen nötigen Stoffen und sonstigen Materialien zu beliefern. Sie war Anweisungshäftling einer Kolonne von ungefähr zwanzig Frauen, hatte die Vorräte in den beiden Materialkammern zu überwachen und vom Stofflager des ,, Industriehofes" ständig zu ergänzen, außerdem am Ende jeder Schicht die fertiggestellten Uniformen nach genauer Zählung auf einem Plattenwagen abzutransportieren. Sie war sich der Wichtigkeit ihrer Aufgabe voll bewußt. In ihrer Kolonne wurde kein Versäumnis geduldet. Mit preußischer Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Strenge werkte sie für die SS. Der Oberscharführer Graf äußerte einmal: ,, Wenn ich die Wiedmeier nicht hätte, würde der ganze Schneiderbetrieb nicht funktionieren." Und diese Anerkennung erfüllte sie mit Stolz und Selbst­achtung. Durch ihre Arbeitsleistung wurde ihr Einfluß so groß, daß der SS- Oberscharführer Graf ihren Wünschen, wenn es sich um die Besetzung von Posten in den Schneidereien handelte, ohne weiteres nachkam. Für ihn bestand kein Zweifel, daß Maria Wiedmeier genau so wie er an der pünktlichen Belieferung der SS - Formationen mit neuen Uniformen inter­essiert sein müßte. Selbstverständlich brachte dieser Posten dem Häftling Maria Wiedmeier auch eine Menge persönlicher Vorteile, denn während sie mit Argusaugen ihre wertvollen Vorräte in den Materialkammern be­wachte, nahm sie sich das Recht, diese als Tauschobjekte und Geschenke für entsprechende Gegengaben zu benutzen. Einmal stellte man an sie die Frage, ob sie es als Kommunistin verantworten könne, mit einer solchen Hingabe für die SS tätig zu sein und die ihr unterstellten Häftlinge zu dieser Arbeit anzutreiben, worauf sie erwiderte: ,, Ich bin nun eben mal so ein Pflichtmensch und muß arbeiten."

Am ,, Einlegetisch" der Schneiderei, dort wo die Zuschnitte vor dem Heften aneinandergelegt wurden, arbeitete Olga Körner , eine schöne, alte, weißhaarige Frau. Auch sie war eine langjährige deutsche Politische und Mitglied der Kommunistischen Partei. Aber Olga Körner hatte keinerlei Vorteile von dieser schweren, aufreibenden Tätigkeit. Während der Elf- Stunden- Schicht sah man sie unermüdlich hin- und herhasten. Sie

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