mich: daß es Ramdor nicht gelang, auch nur eine Aussage zu erpressen. Die junge ,, Shenja" saß bis zum April 1945 im Zellenbau, und ich hatte angenommen, sie sei längst nicht mehr am Leben. Als ich Ende Mai 1945 als befreiter Häftling im Strom der Flüchtlinge auf einer Landstraße in Richtung Hannover lief, um nach Bayern zu wandern, wo ich meine Mutter zu finden hoffte, rief mich aus einem Straßengraben ein lautes ,, Hallo!" Da saß mit wunden Füßen und ganz entzündetem Gesicht ,, Shenja", und als erstes stellte ich entsetzt fest, daß sie noch Aufseherinnenuniform trug. Mit gedämpfter Stimme fragte sie:„ Können Sie sich an mich erinnern? Von der Forstkolonne? Ich habe die ganze Zeit im Bunker gesessen. Erst als man vor einem Monat das KZ evakuierte, ließen sie mich heraus. Ich lief bis Schwerin und erkrankte an Gesichtsrose. Jetzt bin ich so schwach, wie soll ich nur nach Ulm kommen? Und was wird dann aus mir? Als ehemalige Aufseherin werde ich doch gleich verhaftet?" Ich gab ihr viele Adressen zu ihrer Entlastung und riet, vor allem die Uniform sofort auszuziehen, sich irgendwo ein Kleid zu erbitten.
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In Mutter Liberaks Kolonne durfte man auch von Zeit zu Zeit die Arbeit schwänzen, sie hatte ein gut funktionierendes Austauschsystem. In einer Woche kam ich an die Reihe. Da es ein sonniger Spätherbsttag war, begleitete ich Milena bei einem Gang durch das Lager. Sie trug die gelbe Armbinde der Revierarbeiter, und so belästigte uns die Lagerpolizei nicht. Wir gingen, ganz vertieft in ein Gespräch, auf der zweiten Lagerstraße hin und her. Von der einen Seite grüßte uns ein jetzt entblätterter Weidenbaum über die Mauer, auf der entgegengesetzten die dunklen Kiefern. Wir sprachen über die Wälder der Freiheit und die Städte, die wir noch einmal gemeinsam erleben würden. Milena erzählte von ihrer Tochter Honza, die sie vor bald vier Jahren das letzte Mal gesehen hatte. Das war bei einem Besuch im Prager Gefängnis, als sie ihr über den langen Korridor nachblickte, wie sie auf ihren dünnen Kinderbeinen so sicher davonlief. Das Leben ging draußen weiter, jetzt waren die Kinder schon junge Mädchen und mochten uns längst vergessen haben. Die seltenen Briefe der Angehörigen erstarrten aus Furcht vor der Postzensur zu einem Schema und waren ganz unpersönlich geworden. Milena meinte: Wenn Honza doch einmal erzählen wollte, welche Farbe ihr Kleid hat, ob sie schon seidene Strümpfe trägt und was sie an einem Tag ihres Lebens so treibt; nicht immer nur das gleiche schriebe, daß sie Klavierspielen liebt und in die Schule geht.
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Als wir eben an einem Ende der Lagerstraße umkehrten, um zurückzugehen, erblickten wir entsetzt den Arbeitseinsatz führer Dittmann, der auf uns beide zustrebte. Schon aus einiger Entfernung brüllte er: machen Sie hier während der Arbeitszeit auf der Lagerstraße?!"
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