lich hatten nur solche das Glück, die nicht so sehr hinkten und den Weg bis zur Arbeit zurücklegen konnten. Waren sie erst einmal dort angekommen, durften sie sich ausruhen, konnten sich auf die gefällten Bäume niedersetzen und brauchten nicht zu arbeiten.
Es war eine Lust, in der frischen Herbstluft zu marschieren. Mutter Liberak muẞte immer wieder leise warnen: ,, Nicht zu schnell! Nehmt doch Rücksicht!", damit ihre Schützlinge mit den verstümmelten Beinen auch mitkämen. Es ging vorbei an den SS - Häusern, die Landstraße in der Richtung Fürstenberg hinunter und dann rechts ab, wo man in der Ferne schon den Wald sah. Der Morgen war dunstig, und die Bäume, das Moos und die braunen Blätter mit leichtem Reif bedeckt. Ich hatte ganz vergessen, wie herrlich es ist, auf weichen Waldboden zu treten, wo der Fuß versinkt und dürre Zweige knacken. Es roch nach verbranntem Kartoffelkraut und modernden Blättern. Als wir zur Hütte kamen, die die Häftlinge aus Kiefernzweigen erbaut hatten, flog ein Eichelhäher schreiend auf. In der Hütte lagen Äxte und Sägen, und außerdem war sie die Unterkunft für ,, Shenja" und den Hund, wenn sie schlafen wollten. Shenja war mit den Polinnen so gut befreundet und vertraut, daß sie ihren Versprechungen keine würde je fliehen- fest glaubte und nicht selten zu einem kleinen Schlummer in der Hütte verschwand. Die Arbeit im Wald wurde von einem Förster angewiesen. Der kam mit seinem Hund, begrüßte freundlich alle Häftlinge wie gute alte Bekannte und ging neben Mutter Liberak, um die Bäume anzuzeichnen, die gefällt werden sollten. Dieser Förster wußte durch die Polinnen von allen Schrecken im Konzentrationslager. Die„ Kaninchen" zeigten ihm ihre grausigen Narben, und in allen Einzelheiten erfuhr er die unmenschlichen Zustände von Ravensbrück .
-
-
-
Immer zwei Frauen sägten an einem Baum, aber sachte, nur nicht so schnell. Nach einigen Stunden schlug der Förster vor, die Zweige zu verbrennen und gab damit das erwartete Stichwort. Häufig erteilte er auch noch Auskunft, von welchem Feld man am besten Kartoffeln stehlen könnte. Eifrig machte sich dann die ganze Kolonne ans Feuerschüren, während einige Fachkundige ganz ohne Begleitung von ,, Shenja" oder Polizeihund davonstürmten, um Kartoffeln für alle herbeizuschaffen. Das Feuer qualmte und knisterte, vorsichtig schob man ganze Schürzen voll Kartoffeln in die glühende Asche. Bis sie gut durchbrieten, sägten wir noch ein paar Bäume um, und danach folgte die allgemeine Speisung. Ich glaube, die Forstkolonne" stand einzig da in ganz Ravensbrück und war nur denkbar durch den festen Zusammenhalt der Polinnen und ihre Fähigkeit, sowohl ,, Shenja" als den Förster für sich eingenommen und gewonnen zu haben. Leider ereilte auch diese Kolonne das Schicksal. Zu der Zeit arbeitete ich schon lange in der Schneiderei, als alle die Frauen und Shenja durch Ramdor verhaftet wurden, zuerst wochenlang im Bunker lagen und dann in den Strafblock kamen. An eines erinnere ich
254
99


