nun in ihrer altgewohnten Art zu tragen versuchten, sogar der ihnen mit so viel Mühe von der SS beigebrachte Häftlingsgleichschritt schien ver­schwunden, sie flanierten, leicht in den Hüften wiegend, am Fenster vorbei. Manche aber, das waren die ,, Prominenten" oder die, besitzende Klasse" der Paketempfänger, trugen hübsche Kleider oder Kostüme und entwickelten in der Wahl ihrer Kopftücher Geschmack und Eleganz. Nur die Außenkolonnen und die Betriebe gingen vorläufig noch in Lager­kleidung und Zebrajacken. Der SS fehlten die Stoffe zur Herstellung neuer Häftlingskleidung, und man schaffte Mäntel, Kleider, Wäsche und Schuhe der im Osten Vergasten waggonweise nach Ravensbrück . Alles, was an wertvollen Sachen darunter war, nahm die SS, das übrige wurde unsere Lagerkleidung.

Vor der Bekleidungskammer lag haufenweise alles durcheinander, auch Kinderkleider dazwischen, manche Schuhe waren sorgfältig anein­andergeknüpft, das hatte man den Menschen befohlen, bevor sie die Gas­kammer betraten. Aber es gab auch Hunderte einzelner Schuhe, rechter oder linker.

Die Kleider der Ermordeten wurden sortiert und in der ersten Zeit ein Stoffkreuz herausgeschnitten und mit andersfarbigem Zeug untersetzt. Wie für den Schlachthof gekreuzte Hammel liefen die Häftlinge herum. Das sollte die Flucht erschweren. Später ersparte man sich das Einnähen und versah die Sachen mit breiten weißen Ölfarbkreuzen.

Das Verschwinden der Häftlingsuniform trug nicht wenig dazu bei, das Lager immer tiefer in Schmutz und Unordnung versinken zu lassen. Am Krankenrevier prangten Plakate Eine Laus, dein Tod!" und manche Baracken wimmelten bereits von Kleiderläusen. Die SS - Lager­leitung griff zu rigorosen Desinfektions- Maßnahmen, aus Furcht vor einem Flecktyphusherd im Herzen Deutschlands . Beim Kampf gegen die Läuse spielte es gar keine Rolle, ob dabei Häftlinge an Lungenentzündung zu­grunde gingen. Man ließ die Frauen stundenlang nackt in kalten Räumen hocken, bis die Sachen von der Desinfektion sehr häufig noch mit lebenden Läusen zurückkamen.

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Zur gefürchtetsten Institution von Ravensbrück wurde der, Arbeits­einsatz". Tag für Tag stellte man dort neue Kolonnen für Munitions­fabriken, Flugplätzebau und Kriegsbetriebe jeglicher Art zusammen. Das Bestreben jedes Häftlings ging dahin, nur im Stammlager zu bleiben, denn nichts wurde mehr gefürchtet als der Transport und die Arbeit in Außenstellen, wo meist die Ernährung noch schlechter war und vor allem die Gefahr der Bombenangriffe hinzukam. Gerade um diese Zeit hatte ein Lastauto voller schwerverletzter Frauen nach Ravensbrück zurücktransportiert, und schrecklich waren ihre Schmerzensschreie, als sie ins Revier getragen wurden.

Während meiner Bunkerzeit erlebte das Krankenrevier eine ent­scheidende Umwälzung. SS - Arzt Dr. Rosenthal und der Häftling Gerda

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