Hohn:‚Na, schon wieder da! Das hat ja nicht lange gedauert! Ich unter- ließ jede Frage nach dem Grund meiner neuen Verhaftung, weil mir keine Zweifel zu bestehen schienen.

Die Zelle, in der viele Wochen hindurch Betty Schneider, die nun im Strafblock war, gelegen hatte, wurde mein neues Verlies. Dunkelheit, sieben Tage absoluter Hunger, dann weiter nur jeden vierten Tag Essen, dieselben Qualen, dieselben Geräusche vor der Eisentür, und mein Ver- stand begann sich zu verwirren. Waren die zehn Tage Unterbrechung der Bunkerzeit Wirklichkeit gewesen, oder entsprangen sie nur meiner Phantasie? Schon in der zweiten Woche wußte ich nichts mehr von Bunker oder Konzentrationslager, nicht, ob es Morgen oder Abend sei, oder der sonst so ersehnte vierte Tag bald käme, ich lebte mit den Helden meiner Geschichte an der Küste eines südlichen Meeres. Unser Jägerhaus stand am Rand üppiger tropischer Wälder. Es mangelte uns nicht an Essen, wir lagen in der Sonne und schwammen im durchsichtigen Meer. Die Helden meiner Geschichte, sie liebten, litten und freuten sich des Lebens, und ich begleitete sie jede Minute und Stunde durch ihre verwickelten Schicksale. Maria Graf von der Nachbarzelle und Hallina Bella auf der anderen Seite brachten mich manchmal klopfend in die Wirklichkeit zurück, aber nur unwillig ließ ich mich für kurze Augen- blicke aus meinem Traumleben reißen.

Fünf Wochen Dunkelarrest ohne ein Verhör waren vergangen, als eines Sonntags die Zellentür aufging und über die Eisengalerie des Bunkers die Korowa, ihre Tochter, Hallina Bella und ich hinausgeführt wurden zur Entlassung. Bis heute weiß ich nicht den Grund dieses zweiten Dunkelarrestes. Vermutlich war es eine Sondermaßnahme Bräunings, dem zehn Wochen für die Schwere des Verbrechens zu wenig erschienen waren. 5

Die Helle war mir verhaßt und die schreckliche Wirklichkeit. Ich wollte die Augen schließen und in meine Phantasien zurückkehren. Milena brachte mich in den Krankenblock, und wenn sie abends zu Be- such kam, mußte sie viel Geduld aufbringen, um immer wieder das Leben meiner Helden am Meeresstrand mitanzuhören.

So nach zwei Wochen blickte ich einmal vom Bett aus durchs Fenster auf die Lagerstraße, und:da wimmelte es von Frauen in allen möglichen bunten Kleidern. Wo waren die Streifen geblieben? Ich konnte mich nicht losreißen von diesem munteren Durcheinander. Von neuem erwachte mein Interesse für die Umwelt.

Die Häftlinge trugen jetzt Privatkleider, die auf Brust und Rücken mit großen, andersfarbigen Stoffkreuzen gezeichnet waren. Da schlurfte eine in riesigen Holzpantinen vorbei in fräsefarbenem, seidenem Nach- mittagskleid, das vorn und hinten mit einem giftgrünen Stoffkreuz ver- ziert war. Zigeuner hatten irgendwelche bunten Feten ergattert, die sie

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