meine Zelle. Ich vermutete eine Durchsuchung, aber nein, die Rolljalousien wurden hochgezogen und es ward Licht. Ich weiß nicht mehr, ob ich gebetet oder geweint oder gesungen habe. Ich kletterte mit aller Anstrengung zum geöffneten Fenster hinauf. Einen Fuß gegen den Klapptisch gestützt, klemmte ich das Gesicht in den schmalen Fensterspalt und ich spürte Sommerluft und sah über dem Rand der Lagermauer Sonne, die auf den neuen Schornstein des Krematoriums schien und blauen Himmel und rechts vom Schornstein, ganz in der Ferne, eine Kirchturmspitze. Solange bis die Arme erlahmten, trank ich den Anblick von Sonne und Tageslicht und war berauscht vor Glück, leben zu dürfen.
An diesem Tag wurde mir nicht nur Licht geschenkt, die Zellentür ging auf, und mit verstörten, bleichen Gesichtern traten zwei Leidensgenossinnen ein: Maria Graf und Presserova. Das gequälte Herz war kaum fähig, soviel Freude zu ertragen. Ganz verzückt hing mein Blick an ihren Gesichtern und lauschte ihren lieben, vertrauten Stimmen. Durch ihre Gegenwart und ihre Schmerzen versank im Nu das selbst durchlittene Grauen und das geisterhafte Leben in einer phantastischen Vergangenheit. Der Tag bestand nicht mehr aus einsamen, dunklen, endlos gedehnten Stunden des Wartens. Beiden Kameraden drohte die Gefahr schwerer Lagerstrafen, und sie forderten meinen Rat und Trost.
Nachdem im Sommer 1942 die Bibelforscher die Arbeit verweigert hatten, war die Kolonne ,, Angorazucht" aus tschechischen und deutschen politischen Häftlingen gebildet worden. Zu denen gehörten Maria Graf und Presserova. Die Transportarbeiten der Angorazucht erledigte ein Zivilarbeiter, der bei den Häftlingen der kleine Kutscher" hieß, denn er war ungewöhnlich klein gewachsen. Dieser Kutscher muß nach der Schilderung aller eine Seele von Mensch gewesen sein. Es dauerte nicht lange, bis er den Häftlingen half, wo er nur konnte. ,, Linke" Briefe an die Angehörigen wurden geschmuggelt, ja er empfing sogar die geheimen Antworten an seine Adresse in Fürstenberg und erklärte sich damit einverstanden, daß man an ihn aus Prag Medikamente für eine an schwerer Anämie leidende Tschechin schickte. Ich habe vergessen, durch wen die Häftlinge der ,, Angorazucht" und der ,, kleine Kutscher" verraten wurden. Alle kamen in den Bunker", auch die an Anämie Leidende, der kleine Kutscher", seine Frau und Tochter. Das Unglück war, daß man in deren Fürstenberger Wohnung ein Paket und Briefe gefunden hatte. Ramdor ließ es sich nicht nehmen, sogar nach Prag zu den Angehörigen der Tschechinnen zu fahren, die über den Kutscher Briefe und Pakete gesandt hatten, sie zu verhören und mit Verhaftung zu bedrohen. Den armen Frauen im„ Zellenbau" aber sagte er, daß ihre Männer oder Eltern nun festgenommen würden. Leider hatte eine von den Frauen bereits alles gestanden" und die anderen schwer belastet. Nach Wochen fällte Ramdor das Urteil über die Opfer der Kolonne ,, Angorazucht": Maria Graf erhielt fünfundzwanzig Stockhiebe, einige andere kamen in
249


