bringe dir etwas von Milena!" Da kroch ich auf allen Vieren das Stück zur Tür, tastete mich hoch, die Bibelforscherin zog zitternd aus ihrem Kleiderausschnitt ein kleines, zerdrücktes Paket: ,, Nimm schnell. Milena grüßt dich tausendmal. Aber verstecke es um Gotteswillen!"

Die Klappe fiel zu, ich kauerte auf der Erde und die Tränen flossen mir über das Gesicht. Milena hatte mich nicht vergessen! Sie schickte mir eine Handvoll Zucker, Brot und zwei Buchteln aus ihrem Paket von zu Hause.

Bei einem neuen Verhör erklärte mir Ramdor, er habe mein fort­gesetztes Leugnen satt und werde einen Antrag stellen für meinen Ab­transport nach Auschwitz mit dem Vermerk ,, Rückkehr unerwünscht". Das mit dem Todesurteil hatte ich für eine der üblichen Methoden ge­halten, um ein Geständnis zu erpressen. Aber ,, Transport nach Auschwitz ", das war sehr gut möglich.

Und in der dunklen Zelle fiel mir alles das ein, was damals Rosl Hahn von Auschwitz erzählt hatte. Mir schien, als dringe ein Geruch von verbranntem Fleisch durch die Ritzen des Zellenfensters. Sollte die Angst vor Auschwitz mir das nur vortäuschen? Ich klopfte nach Betty: ,, Sag mal, spürst du in deiner Zelle auch so einen stinkenden Rauch?!" ,, Aber natürlich! Weißt du denn nicht, daß hinter dem Zellenbau das neue Krematorium angefangen hat zu arbeiten?!"

Seit über zwei Monaten war ich in Dunkelarrest und kannte die neuen Errungenschaften von Ravensbrück nicht.

Jeden vierten Tag, wenn es zum Mittag einen halben Liter Kohl­rüben oder Dörrgemüse mit sechs Pellkartoffeln gab, nahm ich unter Aufbietung aller Energie drei Pellkartoffeln fort und steckte sie zwischen die Röhren der Zentralheizung, da es dort am kühlsten war und sie sich am längsten frisch hielten, um während der drei Hungertage täglich eine Kartoffel verspeisen zu können; selbstverständlich mit der Schale und allem Schmutz, denn im Dunkeln konnte man sowieso nichts unter­scheiden. Ja, die Gedanken an Essen nehmen einen sehr breiten Raum ein, wenn man hungern muß. Sonst lebte ich meist in der Vergangen­heit, in Gedichten und Liedern. Deklamierend marschierte ich vier Schritte hin, vier zurück. Es gab Tage mit fröhlichen Liedern und andere voller Wehmut. Gedanken an eine furchtbare Zukunft, etwa an ver­hungern müssen und zugrunde gehen, wurden schnell weggeschoben, um sich statt dessen eine herrliche Freiheit vorzustellen, in der die Sonne nie aufhörte zu scheinen.

Sowie aber am Vormittag Besen und Schaufel hereingegeben waren und damit Licht wurde, stürzte ich mich auf das Klosettpapier, um zu lesen. Es war das in kleine Teile zerschnittene ,, Schwarze Korps". Ich setzte die Papierfetzen aneinander und suchte nach Neuigkeiten. Ein Artikel gab mir Optimismus für Tage, er lautete: ,, Ein Wunder geschah!"

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