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oder polnische Häftlinge handelte, ich zu dolmetschen hatte und die Ant­worten der Verhörten nach Belieben formulieren konnte.

Bald merkte ich, daß die Langefeld sehr vergeßlich war. Diesen Um­stand benutzte ich, um ,, Meldungen" einfach verschwinden zu lassen. Ich wählte besonders solche aus, auf die schwere Strafen zu erwarten waren und versteckte sie unter einem Stoß mit Schriftstücken auf ihrem Schreibtisch; dann wartete ich eine eventuelle Nachfrage der Aufsehe­rinnen ab, die sie geschrieben hatten. Erfolgte nichts, so vernichtete ich die Meldungszettel. Wenn ich aus dem Lager erfuhr, daß sich eine Auf­seherin besonders brutal benahm, so benutzte ich die erste passende Ge­legenheit, um der Langefeld solche Ausschreitungen mitzuteilen, worauf sie in den meisten Fällen mit Absetzung der betreffenden Megäre reagierte. Unverständlich blieb mir, wie diese Frau sich einerseits für Häftlinge und deren Nöte ereiferte, andererseits aber es ertragen konnte, jeden Freitag mit dem Lagerkommandanten und SS - Arzt gemeinsam beim Strafvollzug" anwesend zu sein und zuzusehen, wie man Frauen mit dem Stock prügelte. Ich konnte zwar beobachten, wie sie sich jedes­mal nach dem Strafvollzug lange vor Nervosität und sichtlichem Abscheu schüttelte. Aber noch viel krassere Widersprüche waren in dieser Frau. Sie erzählte mir mit feuchten Augen von tragischen Zigeunerschicksalen im Laufe ihrer KZ- Praxis und ließ sich Judith Horvath, die zehn Kinder hatte und die sie schon aus der Lichtenburg kannte ,,, nach vorn" holen und fand für diese alte Zigeunerin so liebevolle und tröstende Worte, daß einem das Herz weich werden konnte. Kam aber eine Jüdin oder fertigte sie einen ganzen Transport nach Auschwitz ab, dann war ihr Ge­sicht verzerrt und ihre Stimme haẞerfüllt.

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Die Langefeld war ein halbes Jahr lang als Oberaufseherin in Auschwitz gewesen und kannte die Gaskammern und das grauenvolle Schicksal, das die Juden dort erlitten. Durch die Protektion irgendeiner hohen SS - Stelle war es ihr gelungen, von Auschwitz zurück nach Ravens­ brück versetzt zu werden. ,, Auschwitz ist das Entsetzlichste, was sich ein Mensch nur ausdenken kann", sagte sie einmal zu mir. ,, Ich kann es mir nicht verzeihen, daß die Bibelforscher, die ich damals mitnahm, dort bleiben mußten. Mein einziger Trost ist, daß wenigstens die Teege und die Maurer gerettet sind." Es war ihr unter großen Schwierigkeiten durch persönliche Fürsprache bei Himmler gelungen, für die beiden kom­ munistischen Häftlinge Bertl Teege und Liesl Maurer aus Auschwitz die Entlassung zu erwirken.

Die Sympathie der Langefeld für deutsche Politische wäre noch be­greiflich gewesen, aber ihre ganze Bewunderung gehörte den nationalen Polinnen, und die zum Tode Verurteilten waren in ihren Augen Heldinnen und Märtyrer, die sich für ihr Volk opferten. Andererseits befürwortete sie die nationalsozialistische Idee des Machtanspruches der

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