erzählen! Man hat uns von Auschwitz zurückgebracht und wir werden bestimmt hingerichtet. Aber bevor wir sterben, muß ich dir sagen, was im Lager Auschwitz Entsetzliches geschieht! Da wirft man Menschen, lebende Kinder, ja du kannst es mir glauben, jüdische Säuglinge ins Feuer. Über dem ganzen Lager liegt Tag und Nacht der Gestank von verbranntem Menschenfleisch. Du glaubst es nicht?! So wie ich hier stehe, ich spreche die Wahrheit, die reine Wahrheit!" Ihr früher einmal schönes Gesicht war gelb, mit tiefen Furchen in den Wangen, und die welken Lippen entblößten beim Sprechen gesunde weiße Zähne. Voller Leben waren nur die Augen und ihre eindringliche Stimme. Die anderen Bibelforscherinnen nickten stumm und sahen teilnahmslos auf mich. Ich glaubte kein Wort von allem, dachte nur, jetzt hat sie völlig den Verstand verloren, und um irgend etwas zu sagen und wieder fortlaufen zu können, meinte ich: ,, Ihr kommt doch sicher gleich auf Block 17. Heute abend besuche ich euch und wir sprechen weiter über Auschwitz ." ,, Nein, uns bringt, man in den Zellenbau und dann zum Erschieẞen!"
Mit einem Würgen in der Kehle lief ich davon. Und noch am selben Tage lud man die Bibelforscherinnen in den Gefängniswagen, der zum Lagertor hinausfuhr. Kurz danach kamen ihre Häftlingskleider mit Winkel und Gefangenennummer zurück zur Kammer. Man hatte das Todesurteil wegen Arbeitsverweigerung an ihnen vollstreckt.
Im Oktober 1942 erschienen während der Arbeitszeit in der SiemensBaracke die Lagerleitung von Ravensbrück und die Oberaufseherin Langefeld zu einer Besichtigung. Als sie von Ingenieur Grade erklärend umhergeführt wurden, erblickte mich die Langefeld hinter der Schreibmaschine. ,, Seit wann arbeiten Sie denn hier? Warum sind Sie fort von den Bibelforschern?" blieb sie fragend bei mir stehen. Ich erklärte ihr kurz den Sachverhalt, und sie forderte mich auf, am Abend nach der Arbeit in die Schreibstube zu kommen.
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Die Langefeld war erst vor einigen Tagen von Auschwitz zurückgekehrt und wieder als Oberaufseherin in Ravensbrück eingesetzt worden. Sie rief mich am Abend in ihren Büroraum und fragte: ,, Wollen Sie nicht bei mir in der Schreibstube arbeiten?" Ich antwortete: ,, Darüber kann ich nicht entscheiden, weil mich der Arbeitseinsatz zu Siemens geschickt hat." ,, Aber möchten Sie lieber in der Schreibstube arbeiten als im Siemens- Betrieb?" ,, Ja, das wohl", erwiderte ich. ,, Die Sache ist etwas kompliziert, da ich auch nichts gegen den Arbeitseinsatz machen kann", meinte sie dann zögernd ,,, aber ich schlage Ihnen vor, bleiben Sie mit, Innendienst eine Woche im Block, bis sich Herr Grade eine andere Sekretärin gesucht hat. Die Innendienstkarte holen Sie sich morgen früh bei Frau Dr. Oberhäuser, der ich Bescheid sagen werde. Und nach einer Woche melden Sie sich dann wieder bei mir."
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adol s
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