Dieses schöne Leben zwischen Blumen, Tomaten- und Gurkenbeeten währte aber, ach, nur ganz kurze Zeit. Eines Tages betrat die Oberauf­seherin Zimmer das Gewächshaus mit den Worten: ,, Arbeitet hier die Buber?" Mir stockte das Herz, denn als Häftling verstieß ich wohl jede Stunde im KZ gegen die Lagerverordnung. ,, Kommense mit zur Ober­aufseherin Mandel." Was mochte Schlimmes geschehen sein, daß man mich sogar aus der Arbeit holen mußte?

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,, Sie sprechen russisch?" fragte die Oberaufseherin Mandel.- ,, Ja­wohl."- ,, Können Sie Schreibmaschine und Stenografie?"- ,, Ja." ,, Ab morgen gehen Sie mit der Siemens- Kolonne. Sie werden Dolmetsche­rin und Sekretärin bei Herrn Grade, dem Leiter der Siemens- Baracken. Es ist bereits dem Arbeitseinsatz gemeldet."

20. BÜROANGESTELLTE BEI SIEMENS

Die Arbeitsbaracken der Firma Siemens wurden von Männerhäft­lingen erbaut, und erst vor einigen Wochen war die erste in Betrieb gesetzt worden. Noch arbeiteten nicht viel mehr als fünfzig Frauen dort beim Spulenwickeln und Relaisbau. Bevor ein Häftling zur Arbeit an­genommen wurde, hatte er eine Geschicklichkeits- und Intelligenzprobe zu bestehen. Er mußte einen Draht in eine bestimmte Form biegen und ein Stück Papier nach vorgeschriebenem Schema kniffen. Außerdem wurde er auf seine Sehfähigkeit hin kontrolliert. Der Ingenieur Grade, der sich bei der Firma Siemens& Halske fünfzehn Jahre hinaufgedient hatte, wählte unter dem ihm zugeschickten Sklavenmaterial sorgfältig das Brauchbarste aus. Er wandte sich immer wieder an den Schutzhaft­lagerführer Bräuning mit der Bitte: ,, Schicken Sie mir mehr Häftlinge von der Lagerintelligenz."

Die Arbeit war in der gleichen Weise organisiert wie in den Siemens- Betrieben mit freien Arbeitern. Die spulenwickelnden und relaisbauenden Häftlinge wurden von zivilen Vorarbeiterinnen angeleitet und kontrolliert. Als deren Chefs fungierten alte Meister aus den Siemens- Werken, und der Chef dieser ,, Ravensbrücker Filiale" war der Ingenieur Grade. Außerdem aber schaltete und waltete in so einer Ar­beitsbaracke eine SS - Aufseherin als Büttel der KZ- Obrigkeit.

Für jeden Häftling wurde eine Kurvenkarte ausgeschrieben, mit Namen, Vornamen, Geburtsdatum sowie Beruf, das Prüfungsergebnis darauf vermerkt und ebenso, welche Verwendung für ihn in Frage käme. Jeder Häftling hatte einen Lohnzettel, in den die geleistete Arbeit ein­getragen wurde und ebenfalls der erarbeitete Lohn, der genau so hoch war wie der eines freien Siemens- Arbeiters. Am Ende jeder Woche wurden der Lohn zusammenaddiert und die Arbeitsstunden aufgeschrieben, so daß man ersehen konnte, was jede Arbeiterin in soundsoviel Stunden

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