für einen Lohn verdiente, den sie natürlich nie erhielt, sondern der von der Firma Siemens pro Sklave an das Konzentrationslager abgeführt wurde. Durch dieses: System war sofort festzustellen, wenn ein Häftling sein Pensum, das ungefähr vierzig Pfennige pro Stunde ausmachte, nicht erreichte. Wiederholte sich diese‚Faulheit, so bekam er zuerst einmal vom Meister eine Strafpredigt. Half das nichts, so wurde die SS-Auf- seherin geholt, die Backpfeifen austeilte und eineMeldung schrieb, durch die der Häftling dann imBunker oderStrafblock landete. Auch dasStrafarbeiten führte die saubere Firma Siemens für die Häft- linge ein. Da mußten die heruntergekommenen Frauen nach der zehn- oder elfstündigen Arbeitszeit noch bis zu fünf Stundennacharbeiten. Wer aber sein Pensum übererfüllte so etwas gab es leider auch erhielt eine Prämie in Form von Fünfzig-Pfennig- oder Eine-Mark-Gut- scheinen für die Häftlingskantine, in der es jedoch in den letten Jahren außer Salz und ungenießbarerFischpaste nichts mehr zu kaufen gab.

Meine Beschäftigung bei Siemens bestand vor allem darin, den Brief- wechsel des Herrn Grade mit der Konzentrationslagerleitung zu er- ledigen. An diesem zivilen Ingenieur war ein SS-Mann verloren ge- gangen. Er scheute nicht davor zurück,arbeitsunwillige Häftlinge bei der Aufseherin anzuzeigen und eine Meldung zu verlangen. Wenn er einen Häftling als unbrauchbar befand, sparte er nicht mit abfälliger Charakterisierung in seinen Schreiben an die KZ-Behörde. Für ihn schien es festzustehen, daß Häftlinge keine Menschenrechte zu beanspruchen haben. Wie ich erfuhr, war die Haupttriebkraft zu diesem Eifer der Wunsch, Karriere zu machen und die Angst vor der Front. Solange er sich der Firma Siemens als unentbehrlich erwies, wurde er reklamiert.

Jeder Häftling saß an einem gesonderten Arbeitsplag. Viele große Fenster erhellten die hohe, geräumige Baracke. Außerdem war jeder Tisch mit starkem elektrischen Licht beleuchtet. Die Arbeit der Frauen bestand in Spulenwickeln, im Montieren, Justieren, Prüfen und Ver- packen von Relais, die sowohl für Selbstwähler-Telefonapparate als auch vorwiegend für automatischen Bombenabwurf gebraucht wurden. Auch Schalter und Telefonapparate wurden hergestellt. Alle diese komplizierten Arbeiten erforderten gespannte Aufmerksamkeit und. Geschicklichkeit. Die Diktaturen Hitlers und Stalins haben bewiesen, daß auch die moderne Industrie ausgezeichnet mit Sklaven arbeiten kann; nur darf man vor dem Verschleiß an Menschen nicht zurückschrecken. Die russischen Kon- zentrationslager wie die deutschen wurden zur Isolierung von Staats- feinden eingerichtet, doch beide Systeme griffen in ihrer Mißachtung des Individuums in kritischen Situationen zur Sklavenausbeutung.

Die Siemenskolonne unterstand der SS -Aufseherin Ehlert. Jeden Morgen, nachdem wir das Lagertor passiert hatten, rief sie schallend: Nu singt mal los!: ‚Ahoi! Und ihr Lieblingslied ertönte:Wir lagen

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