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schlossen und vernagelt. Man drohte strenge Lagerstrafen für den Ver­such an, mit den Männerhäftlingen in Kontakt zu kommen. Den ganzen Tag über hörten wir nun vor unseren verschlossenen Fenstern das Schnauzen und Kommandieren des Capo" der Männerkolonne. Alle Frauen wurden von schmerzlichem Mitleid erfaßt. Was sie bei den weib­lichen Mitgefangenen gar nicht mehr rührte, ließ sie vor Empörung zittern, weil es den Männern geschah. Sie hingen an den Fensterläden, um durch die Ritzen auf die Männer blicken zu können. Und wie schreck­lich sahen die aus! Die Zebraanzüge hingen an den abgemagerten Kör­pern wie auf Kleiderbügeln. Wohlgenährt war nur der Capo, ein Krimi­neller. Er hatte einen Knüppel in der Hand, und wenn einer nicht schnell genug arbeitete, warf er ihn mit voller Wucht gegen dessen Beine. Am zweiten Tag verständigten wir uns bereits mit den Männern. Sie gruben dicht an der Barackenwand, und wir flüsterten durch die Ritzen der Fensterläden. Die Bibelforscher wollten wissen, wieviele ihrer Glaubens­genossen im Männerlager seien, die tschechische Stubenälteste fragte nach ihren Landsleuten. Die Männer gaben Bescheid und baten im gleichen Atemzuge um Brot. Unter dem Zaun war der Sand weggesickert, in die so entstandene Spalte legten wir Brot und bündelweise Mohr­rüben, die es gerade in der Kantine zu kaufen gab. Wir stahlen Margarine aus der Küche, um die Männer zu beschenken. Kurz darauf hatte uns bereits einer aus der Männerkolonne verraten. Ich wurde ,, nach vorn" gerufen. Die Oberaufseherin verhörte mich. Ich wußte nichts. Die Täter konnten schwerlich ermittelt werden, weil man die Männer auch an anderen Stellen mit Essen versorgt hatte. Unter Beschimpfungen schickte mich die Mandel zurück. Nicht lange danach wurde ich erneut zitiert und sie befahl mir:, Gehen Sie sofort auf Block 9, Sie sind von jetzt ab dort Block älteste." Block 9 war die Baracke der jüdischen Häftlinge. Von dort gingen ständig die Transporte in den Tod. ,, Frau Oberaufseherin Mandel, bitte, schicken Sie mich in Außenarbeit.", Was, Sie wollen die Arbeit verweigern?" keifte sie los. ,, Nein, ich bitte für Außen­arbeit verwandt zu werden, nicht mehr als Blockälteste." Da ein solcher Wunsch selten geäußert wurde, zögerte sie und stimmte dann zu.

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Fast zwei Jahre hatte ich mit den Bibelforschern zusammengelebt, und es war kein leichter Abschied. Als ,, alte" Politische kam ich auf Block 1 und wohnte das erste Mal in Ravensbrück mit Milena zusammen in einer Baracke. In diesem politischen Block gab es nicht wenige ,, Prima­donnen", alte Häftlinge, die stolz waren auf ihr Kämpfer- und Märtyrer­tum und denen es nicht an Selbstbewußtsein mangelte. Obgleich man mir mit größtem Mißtrauen begegnete, konnten politische Gespräche nicht ausbleiben. Fast alle deutschen Kommunistinnen klammerten sich, aus nur zu begreiflichen Gründen, nicht nur an die Hoffnung auf den rus­sischen Sieg, sondern sie glaubten nach wie vor an den Sturz der Hitler­diktatur durch eine Revolution. Bei Diskussionen bewiesen sie einem an

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