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brauchen!" Man wählte, wenn ich mich recht entsinne, sechs aus und be­hielt sie im Revier. Panischer Schrecken ergriff die Frauen des Warschauer und Lubliner Transports. Es wurde bekannt, daß man ein besonderes, abseits gelegenes Krankenzimmer eingerichtet hatte, zu dem keine Häft­lingspflegerin Zutritt erhielt. Ein regelrechter Operationssaal mit modern­sten Einrichtungen war gebaut worden. Es erschien der bekannte deutsche Arzt Professor Dr. Gebhardt mit einem Stab von Assistenten. Wir sahen sie in ihren weißen Hosen über den Lagerplatz kommen. Alle Revier­Als sie wieder an arbeiter wurden in die Wohnbaracken geschickt. ihre Arbeitsplätze zurückkehrten, war das neue Krankenzimmer streng von SS- Schwestern bewacht, denen die Pflege der neuen Kranken" ob­lag. Die Ungewißheit währte nur einige Tage, denn bald waren die SS- Schwestern zu faul, ihr Pflegerinnenamt gewissenhaft durchzuführen und zogen von einem Tag zum anderen Häftlinge zu ihrer Unterstützung heran. Es konnte nicht ausbleiben, daß denen in Kürze gelang, einen Blick in das geheimnisvolle Krankenzimmer zu tun. Da lagen die sechs jungen Mädchen mit schmerzverzerrten Gesichtern. Alle hatten Gipsver­bände an den Beinen. Man hatte je zwei der Frauen zur gleichen Zeit operiert und Knochen- oder Muskelteile der Beine von einer zur anderen transplantiert.

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Wochen vergingen, die operierten Polinnen humpelten auf Krücken durch das Krankenrevier. Bei manchen waren die Waden verkümmert wie Kinderbeine, manche konnten nur mit den Zehen auftreten, und schon holte man neue Opfer. Alle Geheimnistuerei wurde aufgegeben. Es wurde operiert, verstümmelt; man sprach von Versuchen mit Tetanus und Gasbrand; die Frauen starben an Sepsis und Fieber. Die Aus­geheilten" schickte man auf Krücken in die Wohnbaracken zurück, und die ,, Kaninchen", wie sie genannt wurden, gehörten bald zum Lager­alltag. An eine leise Hoffnung klammerten sich die verstümmelten Frauen: vielleicht waren sie durch die Versuchsoperation begnadigt, viel­leicht würden sie nicht erschossen werden...

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Die SS begann eine rege Bautätigkeit zu entfalten. Hinter der Lager­mauer entstanden große, stabil gebaute Betriebe, in denen für Tausende von Sklaven Arbeitsplätze bereit standen. Die Firma Siemens - Halske er­richtete in aller Eile Baracken, große Wohnblocks wurden aufgestellt und bald umfaßte das Frauenlager Ravensbrück zweiunddreißig Wohn­baracken und drei Lagerstraßen. Alle Bauten wurden von Häftlingen des benachbarten Männerlagers ausgeführt.

Gleich hinter unserer Blocktür errichtete eine Männerkolonne mit SS- Bewachung einen Zaun und grub den Boden auf, um neue Kanalisa­tionsrohre zu legen. Die Fensterläden der B Barackenseite wurden ge­

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