nahm sie auf den Arm und wir gingen von Block zu Block, um das ,, Zuhause" der kleinen Braunäugigen zu finden. In allen Baracken war ein Gestoße und Gedränge von nervösen, überreizten Menschen und keiner interessierte sich für ein kleines, verirrtes Mädchen. Wir verhandelten gerade im Dienstzimmer des Judenblocks mit der Blockältesten, mehrere Frauen umstanden uns und schüttelten verneinend den Kopf, da meldete sich mit weinerlicher, aber vorwurfsvoller Stimme unser Findling:„ Ich bin doch kein Judenkind, ich bin ein Zigeuner!" Ja, die Dreijährige hatte bereits ihren Rassenstolz! Und dann fanden wir auf dem Zigeunerblock ihre Mutter.
1944 kamen aus einem evakuierten Zigeunerlager, wo Männer und Frauen gemeinsam gewesen waren und viele Kinder geboren wurden, Mütter mit Mädchen und Jungen. Man hatte die Männer und Frauen gewaltsam getrennt. Die Knaben über zwölf Jahre kamen mit den Vätern ins Männerkonzentrationslager, die kleinen Kinder zu den Müttern.
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An einem Abend war ein Gewimmel von Kindern auf der zweiten Lagerstraße. Ich erfuhr, daß sie sich anstellen sollten, um gemeinsam zur Küche zu gehen. Der Schutzhaftlagerführer hatte für alle Kinder einen Löffel Kunsthonig genehmigt". Zerlumpt, mit unmöglichen Schuhen, Kunsthonig ,, genehmigt". aber jedes fest einen Aluminiumbecher in der Hand, stellten sich die Kinder an. Einige zwölfjährige Jungen kommandierten wie die Alten: ,, Zu fünfen antreten!" ,, Hände runter!" ,, Ruhe da!" Und wirklich, die Kinder bildeten ganz selbstverständlich Fünferreihen und verstummten auf das Kommando ,, Ruhe!" ,, Und jetzt singen wir das, Englandlied!" ertönte es befehlend aus eines Jungen Mund. Unter dem Gesang: Reich' mir deine Hand, denn wir fahren gegen Engeland..." marschierten die kleinen, verhungerten, zerlumpten Häftlinge zur Küche nach einem Löffel Kunsthonig.
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Der erste große Transport russischer Häftlinge wurde in Ravens brück erwartet. Die tschechische Kommunistin Paleckova, dieselbe, die mich damals auf der Lagerstraße hatte verhören wollen und dann Milena und mich in Acht und Bann getan hatte, meldete sich zur Bade- und Entlausungskolonne, um die Frauen aus der Sowjetunion gleich am ersten Lagertag zu empfangen. Was im Bad zwischen der Paleckova und den russischen Ankömmlingen für Gespräche geführt wurden, kann ich nur vermuten. Wahrscheinlich mag sie die ukrainischen und russischen Frauen überschwenglich begrüßt, ihnen klargemacht haben, daß die kommuni stischen Häftlinge in Ravensbrück sich mit ihnen solidarisch fühlen. Vielleicht mußte sie danach schon die ersten Flüche einstecken. Dann mag sie ihnen gesagt haben, daß sie sich im deutschen Konzentrationslager ihrer sozialistischen Heimat würdig benehmen müßten und so weiter und so fort in dieser Art. So wie alle Kommunistinnen, war wohl auch die
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