gleichen Weg. Eine versprach, wenn es möglich wäre, auf einem Zettel, den sie im Kleidersaum verbergen wollte, eine Nachricht über Ziel und Zweck des Transportes zu senden. Man fand ihr Kleid und im Saum einen Zettel mit den Worten:„ Wir wurden nach Dessau gebracht und müssen uns auskleiden. Lebt wohl!"
Zwischen Krankentransporten und Exekutionen waren unsere Tage von Erregung erfüllt. Die Zugänge häuften sich. Aus allen besetzten Ländern schleppte man sie herbei, und zum ersten Mal kamen Kinder ins Lager. Angela war wohl das erste. Ein Zigeunermädchen von neun Jahren, eine kleine indische Schönheit. Sie ging auf der Lagerstraße zwischen ihrer zahlreichen Verwandtschaft, und alle Frauen blickten nach ihr mit wehen mütterlichen Augen. Sie umarmten Angela, sie schenkten ihr Brot, und alle dachten an die eigenen Kinder. Angela und noch ein kleines Zigeunermädchen wurden in die ,, Massar- Nähstube" geschickt, wo sie Lesen und Schreiben lernten und von der Aufseherin Massar in Zucht genommen wurden.
Beim Anblick der ersten Kinderhäftlinge in Ravensbrück bekamen alle Frauen feuchte Augen, aber es blieb nicht bei zweien, es kamen jüdische Mütter mit Kindern aus Holland , aus Belgien , aus Frankreich . Auf einem Schemel im Vorraum des Krankenreviers saß ein schwarzlockiges, rundes Puttchen und drückte seinen Teddybär an sich. Es war eine kleine Türkin. Und in dem Durcheinander gehetzter, verzweifelter Mütter, die man zur ,, ärztlichen Untersuchung" bestellt hatte, spielte das Kind ahnungslos in den Tag hinein. Bald gehörten die verhafteten Kinder zum Lageralltag. Sie mußten beim Heulen der Morgensirene gegen fünf Uhr heraus zum Zählappell, sie standen bei Kälte und Regen und Hitze stundenlang auf der Lagerstraße, und da sie nicht arbeiteten, erhielten sie im letzten Lagerjahr nicht einmal Kartoffeln, nur die jämmerliche Brühe aus Dörrgemüse und eine kleine Ration Brot. Sie liefen bettelnd von einer Barackentür zur anderen. Anfang 1942 brachte man sieben russische Mädchen im Alter von zehn bis dreizehn Jahren nach Ravensbrück . Die Kommunistinnen schlugen vor, man solle sie auf den Block der ,, alten" Politischen bringen. Die Oberaufseherin Langefeld war einverstanden, und die Kinder hielten ihren Einzug auf Block 1. Dort wurden sie verwöhnt und gehätschelt, die Frauen überschütteten sie mit Zärtlichkeiten, alles was man im Lager an zusätzlichem Essen auftreiben konnte, war für die Kinder da.
An einem Sonntag, das war schon im Jahr 1943, gingen Lotte, Maria Gropp und ich durch das Lager. Da stand irgendwo auf der Lagerstraße ein kleines, jämmerlich weinendes Mädchen. Sie mochte drei Jahre alt sein. Wir fragten, was ihr fehle. ,, Ich kann meine Baracke nicht wiederfinden", schluchzte sie. Das war auch schwer, denn eine sah aus wie die andere, und Zahlen lesen konnte doch das Kleinchen noch nicht. Lotte
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