religiöse, schwer faßbare Argumente zu polemisieren. Meine erste Fest­stellung war, daß alle diese Frauen, die sich mit mir in Diskussionen einließen, ausnahmslos ein sehr niedriges Bildungsniveau hatten. Die meisten stammten aus kleinen Städten oder Dörfern, aus Bauern- oder Arbeiterfamilien oder aus dem armen Mittelstand, aber alle hatten Schulen besucht. Geschichtliche oder etwa gar naturgeschichtliche Ver­gleiche zu ziehen, war völlig zwecklos; sie antworteten auf alles mit einem Bibelzitat, und als ich dann einmal über Entwicklungsgeschichte zu sprechen begann und ahnungslos Darwin erwähnte, reagierten sie, als hätte ich ihnen den leibhaftigen Teufel genannt. Bald mochten sie wohl festgestellt haben, daß ich gar keine Eignung zu einem ,, Zeugen Jehovas " hatte und gaben ihre Bemühungen auf, versicherten mir aber immer wieder, wohl als Zeichen ihrer Sympathie, daß sie Hoffnung hätten, ich würde doch noch einmal ,, erleuchtet" werden, bevor es zu spät sei und ich das Schicksal aller ,, Verdammten" zu erleiden hätte. Wenn ich sie recht verstanden habe, so erwartete ja die ganze Menschheit in Kürze, beim Eintritt des ,, Weltunterganges", der Sturz in die Verdammnis. Nur für die Bibelforscher der ganzen Welt würde dann das goldene Zeit­alter", das, Hamagidon" anbrechen. Da saß die kleine, bucklige Erna und erzählte mit der quäkenden Stimme der Verwachsenen von all den Wundern des ,, Hamagidon", wo sie auferständen in Fleisch und Blut, in körperlicher Schönheit, wo ihnen alles das gewährt würde, was sie im Erdenleben hatten missen müssen, wie Wohlhabenheit, Glück und Frieden. Kein Mensch würde dann mehr den anderen befehden, es gäbe kein Sterben mehr, kein Lebewesen würde je das andere bedrohen, nein - der Löwe läge fromm neben dem Lamm und die Glückseligkeit nähme kein Ende.

Bis 1942 waren alle Bibelforscherinnen in Ravensbrück die von der SS gesuchtesten und begehrtesten Arbeiterinnen im KZ. Sie säuberten die Häuser der hohen SS- Beamten, der Aufseherinnen, die Kommandan­tur; sie pflegten die Kinder der SS in deren Heim, sie waren Dienstmäd­chen beim Kommandanten, dem Schutzhaftlagerführer und der übrigen Lagerobrigkeit, sie schufteten in der SS - Gärtnerei ,, Kellerbruch", sie be­treuten die Bluthunde der SS, deren Schweine, Hühner und Angora­kaninchen. In ihrer Pflichttreue, Arbeitsamkeit, absoluten Ehrlichkeit und in der strengsten Befolgung aller SS - Befehle konnte sich die Lager­leitung keine idealeren Sklaven denken. Es ging soweit, daß ihnen be­sondere Passierscheine ausgestellt wurden, mit denen sie ohne Bewachung durchs Lagertor zur Arbeit aus- und eingingen; denn eine Bibelforscherin würde niemals aus dem Konzentrationslager entfliehen. Die Zeugen Jehovas " waren in gewissem Sinne ,, freiwillige Häftlinge". Für sie ge­nügte es, sich bei der Oberaufseherin zu melden, den Bibelforscher­Revers zu unterschreiben, um noch am gleichen Tage in die Freiheit ent­lassen zu werden. Der Inhalt dieser Erklärung lautete ungefähr so: Ich

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