der SS- Blockleiterin abzuwehren und die Interessen jeder einzelnen, so­weit es in meinen Kräften stand, zu vertreten. Vor allem bei dem täg­lichen Gang mit den Kranken ins ,, Revier". Sehr entscheidend war, wie eine Block älteste mit SS - Oberschwester und SS - Arzt sprach, um für die Kranken eine Bettkarte" oder, Innendienstkarte" zu erlangen. Es gab Möglichkeiten, heimlich Tabletten zu besorgen, häufiger Wäsche zu wechseln und was der wichtigen Dinge noch mehr waren.

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In Block 3 wurde weder gestohlen noch betrogen, noch denunziert. Jede dieser Frauen war nicht nur äußerst pflichtbewußt, sondern fühlte sich auch für die Gemeinschaft der ganzen Baracke verantwortlich. Nach­dem ich kurze Zeit mit ihnen gelebt hatte und sie merkten, daß mir alle gefürchteten Blockältestenallüren abgingen und ich mich wohl bei ihnen fühlte, nahmen sie mich in ihre Blockgemeinschaft auf, und fast zwei Jahre, solange war ich bei ihnen, haben weder sie noch ich jemals dieses Als wir uns Verhältnis absoluten Vertrauens zueinander gebrochen. schon näher kannten, schrieb ich fast täglich zehn oder mehr Frauen vom abendlichen Zählappell ab, d. h. ich ersparte ihnen das stundenlange Stehen und Frieren und betrog die SS, indem ich behauptete, eine Kolonne sei noch nicht eingerückt und was der Lügen mehr waren. Auf einem Bibelforscher- Block, mit Menschen, denen man absolut vertrauen konnte, gab es immer neue Möglichkeiten, die SS hinters Licht zu führen, und durch mich haben die Bibelforscher im Laufe der Zeit gelernt, wie und mit welchen Mitteln man die Lagerobrigkeit betrügen konnte.

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Die Bibelforscher oder Zeugen Jehovas", wie sie sich nennen, waren die einzige Häftlingsart in Ravensbrück , die eine geschlossene Überzeugungsgemeinschaft bildeten. Sie waren bis auf einige Hollände­rinnen alle Deutsche und gehörten der ,, Internationalen Vereinigung der Bibelforscher" an. Als ich auf Block 3 kam, hatte ich wenig Ahnung von der Art ihrer religiösen Überzeugung, auch nicht, weshalb Hitler sie zu Staatsfeinden erklärte und gegen sie so erbarmungslos wütete. Vor 1933 wollte mir an der Haustür einmal eine eifernde Alte eine Broschüre über den nahenden Weltuntergang verkaufen, aber ich lehnte dankend ab, weil ich diese Befürchtung für verfrüht hielt. Nun aber lebte ich Tag für Tag mit Hunderten dieser religiösen Eiferinnen beisammen, und da sie mich nicht für ein, Werkzeug des Teufels" hielten, konnte es gar nicht ausbleiben, daß sie um mich warben oder ,, Zeugnis ablegten", wie das in ihrer sonderbaren Sektensprache heißt. Für einen Menschen wie mich, der die Religionsstunde in der Schule häufig geschwänzt oder der nicht zugehört, sondern unterm Tisch ein interessantes Buch gelesen hatte, war es schon ein Problem, sich in dieser Bibelsprache zurechtzu­finden, die bunt zusammengewürfelt schien aus Alttestamentarischem und der dunklen, mystischen Sprache der Offenbarung Johannes. Da begann ich als jemand, der sich im politischen Leben entwickelt hatte, gegen

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