denn kein Häftling durfte die Baracke betreten, ohne sich vorher den Schmutz von den Schuhen, resp. Pantinen gefegt zu haben. Eine trat zu mir und fragte: ,, Blockälteste, darf ich einmal in den Schlafsaal gehen? Ich vergaß etwas in meinem Bett", und ich beobachtete, wie sie vor dem Eintreten die Holzpantinen auszog und auf Strümpfen in den Schlafsaal huschte. Das Mittagessen ging zu Ende ohne ein lautes Wort. Manche sammelten einen ganzen Satz Schüsseln, um sie im Waschraum zu reinigen; alle, die bei meinem Tisch vorbeigingen, an dem ich immer noch voller Beklemmung und Unsicherheit saß, blickten mir mit einer merkwürdigen Mischung von Entgegenkommen und Unterwürfigkeit ins Gesicht. Es hatte noch nicht zum mittäglichen Arbeitsappell ,, gehult", und schon liefen alle ohne jegliche Aufforderung hinaus auf die Lager­straße. Viele von ihnen trugen dicke Lederstiefel und gut gefütterte, ge­streifte Jacken. Das gesamte Lager hatte im September feldgraue Strümpfe, Holzpantinen und Jacken ausgeteilt bekommen, aber die Winterkleidung der Bibelforscher stammte noch aus der ersten Zeit des Konzentrationslagers und war aus besserem Stoff und wärmer. Viele Bibelforscher befanden sich schon seit Jahren in Haft und Konzentrations­lager. Bis auf einige ,, alte" Politische trugen sie die niedrigsten Lager­nummern am Ärmel, und das nicht ohne Stolz.

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Meine erste ängstliche Frage galt den Besichtigungen. Und nun unterrichteten mich alle Anwesenden unter viel Gelächter, was ich zu sagen, zu tun und zu lassen hätte in dem Moment, wo der Lager­kommandant Kögel mit seinen Besuchern an der Blocktür, erscheinen würde. Ich übte Strammstehen, ,, Achtung" rufen, die Blockmeldung her­unterschnurren, und wurde über alle Eigenheiten" des gefürchteten Kommandanten aufgeklärt.

Auf der B- Seite von Block 3 gab es noch eine zweite Stubenälteste, das war Grete Bötzel, eine Deutsch- Polin. Es währte geraume Zeit, bis ich meine ,, Blockältestenautorität" geltend machen konnte, um ihr ein anständigeres Benehmen den Bibelforschern gegenüber beizubringen. Im Gegensatz zu meiner sehr kameradschaftlichen Beziehung zu Bertl Schindler, der ersten Stubenältesten, lebte ich während der ganzen Dauer der gemeinsamen Tätigkeit auf Block 3 mit Greta Bötzel auf ziemlich gespanntem Fuß und meine Erziehungserfolge waren von einem zum anderen Tag verflogen, als sie später in einer anderen Baracke Blockälteste wurde.

Dann zeigte man mir den ,, Musterblock" des Konzentrationslagers Ravensbrück , in dem ich von nun ab Block älteste zu sein hatte. 275 Bibel­forscherinnen lebten in dieser Baracke, im danebenliegenden Block 5 weitere 300, und allen waren die Lagerbestimmungen in Fleisch und Blut übergegangen. Ein Kasernenspind sah aus wie das andere: an jeder Schranktür das in Form einer Männerkrawatte gefaltete Wischtuch;

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