Stolypin , verhaftet wegen asozialen Lebenswandels und als Säuferin. Eugenia führte mit mir viele politische Gespräche. Sie war halbgebildet, aber ein kluger Mensch. Sie litt sehr unter dem Leben zwischen den Prostituierten. Ich sah sie durch Jahre. Dann aber ging sie auf Transport in eine Munitionsfabrik.

Ich erwähnte schon, daß man ins deutsche Konzentrationslager un­befristet verschickt wurde. Dieses Nichtwissen um die Dauer der Haft war eine der raffiniertesten Torturen. Unter den Asozialen gab es Frauen, die nicht aufhörten, Tag für Tag auf ihre Entlassung zu hoffen. Mit selbstgefertigten Spielkarten, trotz strengstem Verbot, befragten sie immer wieder das Schicksal. Unter ihnen gab es Spezialistinnen für Traumdeutung, und gegen Brot oder Nachkelle" gab es nur eine Aus­legung: baldige Freiheit!

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Für die auszustehenden Leiden hielten sich die Frauen an ihren Mithäftlingen schadlos. Ich denke jetzt nicht an malträtierende Vor­gesetzte, wie Block- und Stubenälteste, sondern an den ,, einfachen" Häft­ling( das ist auch ein im KZ geprägter Begriff!). So wie sich dieser Kampf, eine gegen die andere, bei den Asozialen abspielte, konnte man es, zwar in anderen Formen, aber nicht weniger erbittert, unter allen übrigen Häftlingsgattungen erleben, und auch die Frauen auf dem Block der ,, alten" Politischen waren keineswegs dagegen gefeit. Voller Neid und Miẞgunst blickte eine auf die andere, die vielleicht etwas mehr an Essen haben könnte. Um den Brotkanten, um das etwas größere Stückchen Margarine oder Wurst kam es zu Haẞszenen und Racheschwüren. Zwischen zwei ,, alten" Politischen vom Block 1 gipfelte eine solche Aus­einandersetzung in dem Ausruf: Wenn wir herauskommen, wirst du deinen dicken Hintern vor der Partei zu verantworten haben!!"

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Die SS im deutschen KZ wie die NKWD im russischen erleichterten sich die Unterdrückung der Gefangenen, indem sie Politische, Kriminelle und Asoziale zusammensperrten und den Häftlingen eine sogenannte ,, Selbstverwaltung" gestatteten. Durch diese Methoden wurden die schon bestehenden Gegensätze unter den Häftlingen noch verstärkt, denn nicht wenige, die Lagerposten bekleideten, haben ihre Macht miẞbraucht, an­statt sie in den Dienst der Mitgefangenen zu stellen.

Das Amt einer ,, Block ältesten" ,,, Stubenältesten" oder eines ,, An­weisungshäftlings" war nicht einfach, denn über ihnen stand eine Auf­seherin, deren Befehle sie durchführen sollten. Sie hatten die schwierige Aufgabe, die Interessen der Häftlinge zu wahren, aber andererseits nicht mit den Lagerbestimmungen in Konflikt zu geraten. Ich habe oft be­obachten können, wie sich Frauen, die einen Lagerposten bekamen, im

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