da nachts in den anderen Block einstieg, wußte ich gar nicht, was mir geschah, nur mein Magen war so schrecklich leer

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Es gab in unserer Baracke eine Frau, die stahl in jeder Nacht Becher, einfache, leere Aluminiumbecher, die stellte sie dann fein säuber­lich in ihren eigenen Schrank. Am nächsten Morgen war großes Geschrei, man schlug sie, sie hatte schon manche Meldung, aber sie konnte es nicht lassen. Die Asozialen waren sich darüber einig, daß sie einen, Dach­schaden" hätte. Solche Frauen mit ,, Dachschäden" gab es genug unter den Asozialen und das waren die Bemitleidenswürdigsten. Auf sie schlug der Mithäftling ebenso wie die Aufseherin. Für diese Ärmsten prägte das Lager einen besonderen Ausdruck, das waren die ,, Schmuckstücke". Da gab es auf Block 2 Bettnässer, deren Leiden als Bösartigkeit bezeichnet wurde und die man mit Meldungen und strafweisem Übernachten im feuchten Waschraum ,, umerzog"; Epileptikerinnen, deren Krankheit sich unter den Lagerverhältnissen zusehends verschlimmerte und die von den Mithäftlingen mit Scheu und Ekel abgelehnt wurden. Und dann die vielen Geschlechtskranken, die SS- Arzt Sonntag mit seinen Pferdekuren ruinierte.

Erna hieß eine junge Achtzehnjährige mit etwas zu großem Kopf, wasserblauen Augen und verbissenem Gram um den Mund. Sie sprach fast nie. Nur manchmal stieß sie Verwünschungen und Drohungen aus. Alle aber kannten ihren ,, Tick" und hänselten sie. Wenn über das Lager ein Flugzeug kam, stürzte Erna ans Fenster oder rannte auf die Lager­straße, und ihre Lippen bewegten sich in erregtem Selbstgespräch. Da riefen ihr die anderen nach: ,, Erna! Dein Flieger kommt! Heut' springt er bestimmt mit' nem Fallschirm ab! Paß ja auf!!" Und auf diesen Flieger wartete Erna, bis man sie ins Gas schleppte.

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Nicht nur Junge quälten sich in Block 2, viele alte, als asoziale Säuferinnen verhaftet, mußten dieses jammervolle Dasein erleiden, und eine von ihnen sollte das schnelle Ende meiner Stuben ältesten- Laufbahn verursachen.

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Wir hatten ein Blockbuch, das lag im Dienstzimmer und darin standen fein säuberlich alle Namen, Daten, Berufe, wann ins Lager ge­kommen usw. Darin blätterte ich eines Tages und las: Poremski, Eugenia, asozial, geboren in Moskau B- Seite Block 2. Ich ging am Abend auf die B Seite und fragte die Stubenälteste nach Eugenia Poremski. Sie rief und eine Frau, wohl Mitte oder Ende der 20, mit dunklen Augen, einer großen, schmalen, etwas schiefen Nase, kam mit fragendem Blick zu mir auf den Korridor. Nachdem ich ihr erzählt hatte, daß mir ihr Geburts­ort Moskau im Blockbuch aufgefallen war und ich deshalb zu ihr käme, meinte sie: ,, Ach, kennen Sie Moskau ?" und dann begann ich russisch zu sprechen. Da schluchzte Eugenia und fiel mir um den Hals. Sie war das Kind russischer Emigranten, die Nichte des zaristischen Ministers

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