verhören, und ich erwiderte: ,, Wenn ich mich recht erinnere, wohnte Tschernin in Zimmer Nummer soundso, aber dort wurde er im Sommer 1937 von der NKWD verhaftet und seine Frau und die beiden Kinder aus dem Lux hinausgeworfen." Sie blieb stumm. Ich fuhr fort: ,, Interes­sierst du dich auch für den Verbleib der Genossen Pjatnitzki, Walecki, Krajewski und Lenski von der Komintern? Die hatten das gleiche Schick­sal wie Tschernin." Ohne ein weiteres Wort marschierte sie mit zurück­geworfenem Kopf davon. Später erfuhr ich, daß sie Paleckova hieß und eine führende Rolle bei den tschechischen Kommunistinnen spielte.

Ich kehrte in Block 2 zurück, um den Nachmittagstee auszuteilen. Da saßen sie alle beisammen, an jedem Tisch ungefähr fünfzehn Frauen. Die einen sangen ihre Nutten- Lieder, die anderen hatten ein sentimentales Repertoir, wo des ,, fernen Mütterleins" gedacht wurde, wo der Geliebte die schroffe Felsenwand erklomm, um ein Edelweiß zu pflücken, dabei in die Tiefe stürzte und dort von der liebenden Maid aufgefunden wird, die in den herzzerreißenden Jammer ausbricht: ,, Ein Edelweiẞ, von Blut so rot, hielt er in seiner Hand..."

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Gesprächsthema war die Vergangenheit, und so wie sie sich in den Nutten- Liedern besangen ,, in Samt und Seide gekleidet", so erzählten sie einander von dem Glanz, in dem sie gelebt hatten, bevor das Schick­sal sie ereilte. Eine Geschorene ließ die Hand in Wellen über ihren Glatz­kopf gleiten: ,, Mensch, Paula, ich sage dir, meine Haare frisch blondiert, wo ich doch ne Naturkrause habe und dann so richtig aufjepuppt.. Da wurde nicht etwa schlechthin von Kleidern gesprochen, sondern immer von ausgefallenen Stoffen und deren Preisen. Mäntel? Sowas gab es gar nicht! Unter einem Pelz kam nichts in Frage. Und dann das nicht endenwollende Thema, wieviel die ,, Stubben" gezahlt haben, was sie noch alles extra für sie ausgaben und wie toll die Männer auf sie waren. Und dabei blickte ich auf die Erzählerin mit den Zahnlücken und der verwelkten Haut und sah ihre wadenlosen Stöckerbeine, die von Ge­schwüren bedeckt waren. Es konnte geschehen, wenn die Phantasie irgendeiner gar keine Grenzen mehr kannte, daß sie von einer guten alten Bekannten hohnlachend korrigiert wurde, und dann war ein Groß­kampf mit allen nur erdenklichen Schimpfworten im Gange.

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An meinem Tisch saß Else Krug, die sich mit den Worten: ,, Nu wolln mir mal' n bißchen Naturkunde treiben", an die Umsitzenden wandte. Und dann erzählte sie aus ihrem Leben als sadistische Prosti­tuierte. Bis dahin hatte ich mich als ein Mensch, der manche Literatur, teils medizinische, teils pseudowissenschaftliche über dieses Gebiet gelesen hatte für völlig aufgeklärt gehalten. Aber ihre Berichte ließen mir die Haare zu Berge stehen. Im Gegensatz zu den anderen Asozialen sprach sie trocken von den perversesten Ungeheuerlichkeiten. In ihrer ganzen Art lag ein gewisser ,, Berufsstolz". Niemals hörte man von ihr:

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