Wenn die Arbeitskolonnen ausgerückt waren, durften die übrig­gebliebenen ,, Verfügbaren" in die Baracken zurück, nachdem sie manch­mal bis zu drei Stunden auf der Lagerstraße gestanden hatten. Kaum aber hatten sie sich ein wenig erholt, hieß es: ,, Antreten zum Brotholen!" ,, Antreten zum Wäschetausch!" und so weiter und so fort. 1940 gab es in Ravensbrück noch in jeder Woche frische Leibwäsche und alle vier Wochen neue Bettwäsche. Für das Reinigen der Baracken sparte man nicht an Scheuerbürsten, Tüchern, Eimern und allen sonstigen Utensilien, um den ausgefallensten Putzgelüsten frönen zu können. Der Erfolg war, daß die Baracken, in denen die vielen hundert Menschen lebten, niemals austrockneten. Am schlimmsten war es in den nichtheizbaren Schlaf­sälen, in denen im Winter die Eiszapfen von der Decke hingen. Als ein­mal eine Besichtigung Himmlers angekündigt wurde, kam der Befehl, die Baracken von außen wie von innen abzuwaschen. Und das geschah.

Zu den Freuden des Ravensbrücker Lebens gehörte der Einkauf in der Häftlingskantine. Da gab es 1940/41 Brot, Kuchenbrot, Marmelade, Sirup, Fischpaste und alle möglichen Toilettenartikel. Diese Kantine war eine besondere Verdienstquelle der SS, denn die Häftlinge durften sich Geld von zu Hause schicken lassen und zahlten jeden Preis. Wenn Baracke 2 Einkauf hatte, was ungefähr einmal in der Woche vorkam, herrschte großer Jubel bei denen, die Geld besaßen, aber Trauer und giftiger Neid bei solchen, die niemals einen Pfennig von zu Hause er­hielten.

Erschütternd waren die Briefe der Asozialen an ihre Angehörigen. Als Stubenälteste mußte ich die gesamten Briefe der A- Seite von Block 2 auf eventuelle Verstöße gegen die Zensurvorschriften durchsehen. Und was bekam ich da zu lesen! ,, Liebe Mutter, schreibe mir doch mal ein einziges Wort. Ich bin sehr traurig. Liebe Mutter, ich habe dir soviel Schande gemacht, aber jetzt will ich mich ganz bestimmt bessern. Wenn ich rauskomme, will ich immer arbeiten und alles wieder gutmachen. Schick mir doch mal eine Mark..." Da wurden Vater, Schwester oder Tante angefleht um nur ein Wort, um nur eine Mark. Sehr wenige be­kamen Antwort, weil die Familien sie verstoßen hatten. Wenn dann ein­mal an einem Sonnabend denn nur an diesem Tag wurde die Post aus­geteilt ein unerwarteter Brief eintraf, eine Mutter sich hatte er­weichen lassen, dann flossen die Tränen in Strömen. Aber, am Sonntag hatte sie alle Beteuerungen längst vergessen und sang mit Inbrunst: ,, Denn es kann ja nichts Schöneres geben, als in Hamburg ein Mädchen fürs Geld!"

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Der Sonntag war ein Feiertag, und jahrelang gab es als Sonntags­essen: Goulasch , Rotkohl und Pellkartoffeln. Am Sonntag durfte man auf der Lagerstraße spazieren gehen. An den Giebeln der Baracken auf beiden Seiten der Lagerstraße waren Lautsprecher angebracht, und wenn

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