der Bestohlenen zu glauben, weil ihr Entsetzen über den Verlust so echt schien. Es wunderte mich nur, daß die Bestohlene eine andere verdächtigte, ohne gleich deren Namen zu nennen. Im allgemeinen hatten sie keine Hemmungen, das zu tun. Dann beim Kaffeeausteilen, noch bevor wir zum Zählappell antraten, konsultierte ich Else Krug und bat um ihren Rat. ,, Da kann ich Ihnen nur sagen, daß man dieser Trude, solange ich auf Block 2 bin, bereits zwanzigmal das Brot, gestohlen hat. Die reist auf diesen Dreh und hofft Mitleid zu erregen, um mittags eine Nachkelle zu erben", lautete Elses Auskunft.
Viele Asoziale waren in der Schneiderei beschäftigt, manche auch in der Waschküche. Diese Berufe hatten sie bei ihren meist vielfachen Vorstrafen im Gefängnis oder Arbeitshaus erlernt. Andere mußten mit den Kolonnen zum Sandschippen, Kohlen fahren oder Kähne abladen, und solche, die in keiner festen Kolonne waren, standen während des Arbeitsappells bei den„ Verfügbaren". Aus diesen ,, Verfügbaren" wurden unter viel Geschrei die von einem Tag zum anderen neuformierten Kolonnen zusammengestellt. Eine ,, Verfügbare" hatte aber eine Chance: wenn das Glück ihr hold war und man nicht alle Häftlinge zur Arbeit jagte, konnte sie abtreten" in den Block, wo sie zwar die fraglichen Freuden wie Boden scheuern, Schemel und Tische waschen, Strümpfe stricken usw. erwarteten und vor allem die nicht abreißenden Keifereien der Blockältesten. Aber unsere Asozialen schienen dagegen gepanzert zu sein.
Von 1941 ab vollzog sich ein sichtbarer Wandel in der Ausnutzung der Arbeitskräfte. Ursprünglich betrachtete die SS die Beschäftigung der Häftlinge als eine ,, Erziehungs "- und Umschulungsmaßnahme". Die Produktivität der Arbeit spielte noch keine Rolle. Da wurde Sand geschippt von einem Haufen auf den anderen und wieder zurück. 1941 begann die SS, Häftlinge an die umliegenden mecklenburgischen Güter als Landarbeiterinnen zu vermieten, Häftlinge wurden ausgeliehen an Gärtnereien, zum Straßenbau, und so nach und nach wurden wir ein Faktor in der deutschen Kriegsindustrie. Gegen festgesetzte Bezahlung pro Häftling lieferte Ravensbrück seine Sklaven zum Bau von Flugplätzen, an Porzellanfabriken und die Munitionsindustrie. Ende 1942 baute die bekannte Firma Siemens& Halske gleich jenseits unserer Lagermauer an zwanzig Arbeitsbaracken, wo man die Häftlinge bis zu elf Stunden täglich mit komplizierten Arbeiten, wie Spulen wickeln, Relais- und Telefonautomatenbau beschäftigte. Außerdem entstand ein weiteres Unternehmen, der sogenannte Industriehof, mit großen Schneidereien, in denen SSUniformen genäht wurden, mit einer Weberei, einer Kürschnerei und einem„, Instandsetzungswerk" zur Ausbesserung zerrissener Soldaten
uniformen.
Im Herbst 1940 jedoch arbeitete man noch acht Stunden und kam mittags für zwei Stunden ins Lager zurück.
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