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Ein eigener Schrank, das Bett an einem Vorzugsplatz in der Ecke beim Fenster, ein neues Kleid, das fast auf Taille saß, eine schöne Leinenschürze und vor allem Holzpantinen waren die Vorteile meines neuen Standes und, was das Entscheidende war, eine grüne Binde am rechten Arm, die es mir ermöglichte, frei und unbehindert durch das ganze Lager zu gehen. Aber dazu kam ich in den ersten Wochen nur manchmal während des obligatorischen Spazierganges auf der Lager­straße. Die Einweihung in meine Pflichten dauerte wohl zehn Minuten, und es drehte sich mir der Kopf, als ich das Dienstzimmer verließ und zu meiner ersten Amtshandlung, dem Austeilen des Mittagessens, schritt. , Während des Essens hat absolute Ruhe zu herrschen", so lautete der Befehl. Da stand' ich mit hochrotem Kopf, die Ausschöpfkelle in der Hand, nur von einem Gedanken erfüllt, auch ja die gleichen Portionen zuzuteilen. In einigen Minuten war der Kübel mit Gemüse und der mit den Pellkartoffeln von hundert Gesichtern umringt, die alle durchein­ander schrien: ,, Stubenälteste, heute fängt's bei Tisch 3 an!" ,, Stuben­älteste, Tisch 5 kriegt heute Nachkelle!"- ,, Stubenälteste, ich bin heute dran mit Kübelauskratzen!" usw. usw. Da erhob sich eine Frau mit einem stark ausgeprägten Kinn und lebhaften braunen Augen, drängte sich neben mich und rief mit einer Stimme, die ans Kommandieren gewöhnt schien: ,, Wenn ihr nicht sofort auf die Plätze geht und euch weiter so schweinisch gegen die neue Stubenälteste benehmt, erfolgt ein Donner­wetter, und die Essenkübel werden zurück in die Küche getragen!" Ein erstaunlicher Erfolg war zu verzeichnen. Das war Else Krug, eine Düsseldorfer Prostituierte, ihrer Spezialität nach ,, Sadistin ". Aber bevor ich die Geschichte der Else Krug erzähle, muß man erst wissen, wer die anderen 150,, Asozialen" waren, mit denen ich zwei Monate meine Tage und Nächte verbrachte und mit denen ich, das muß ich gleich voraus­schicken, niemals fertig wurde.

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Wie verlogen die Nazimoral war, charakterisierte ein Ereignis im Jahre 1942. Damals kam eine Kommission von SS- Offizieren aus Maut­ hausen nach Ravensbrück , um für ein Lagerbordell Frauen aus Block 2 auszusuchen. Die Ausgewählten mußten sich vor der Kommission nackt im Bad produzieren. Umzuschulende kamen ins Bordell nach Mauthausen mit dem Versprechen, nach einem halben Jahr Dienst in die Freiheit entlassen zu werden.

Wenn wir abends nach einem Lagertag, der doch schon morgens um 25 Uhr begann, endlich auf dem Strohsack lagen und ein Bedürfnis nach Ruhe nur zu verständlich gewesen wäre, dann begannen im Schlaf­saal die Leidenschaften zu toben. Die Vorgeschichte zu diesen Ausein­andersetzungen spielte häufig in der Freiheit. Da rief aus der hintersten, Ecke im zweiten Stock eine: ,, Wat, du willst nen echten Persjanamantel jehabt haben?! Die Rosa kennt dir ja aus der Freiheit! Nich mal nen

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