ständige durchsuchten das Kopfhaar immer wieder. Da aber in dieser Zelle aus allen Gegenden Deutschlands die Mengen der zu Konzentrations­lager Verurteilten zusammenströmten, kamen mit ihnen Tag für Tag neue Läuse, und viele Frauen sollten trotz größter Mühe in Ravensbrück ihre Haare verlieren.

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Nach Aushändigung des Schutzhaftscheines waren meine Kräfte am Versagen. Wieder Konzentrationslager! Eben dem sicheren Tod in Sibirien entronnen und nun in eine neue Hölle! Es ist so viel einfacher, in ein unbekanntes Schicksal zu gehen, aber ich wußte doch nur zu gut, was Konzentrationslager bedeutet. Alle um mich herum redeten von ,, drei Monaten Umschulung", ich aber hatte keine Spur von Hoffnung auf eine baldige Befreiung. Und trotzdem lebte man weiter.

Zu deutschem Konzentrationslager wurde man unbefristet verur­teilt. Das konnte zwei Jahre, zehn Jahre und länger bedeuten, und für die Politischen, daran zweifelte ich keinen Augenblick, hieß es ,, regie­rungslänglich.

Jeden Sonnabend ging ein Transport von ungefähr fünfzig Frauen ins Lager ab. In der saalartigen Zelle 4 war die Toilette durch einen Wandschirm verdeckt. Am Freitag wurden die Namen derer aufgerufen, die sich für den nächsten Morgen zum Transport bereithalten sollten. Am ersten Sonnabend sollte auch eine jüdische Ärztin namens Jakoby mitgehen. Sie kam aus dem Zuchthaus. In der Nacht vom Freitag zum Sonnabend erhängte sie sich an dem Wasserbehälter der Toilette. Aber eine Frau entdeckte die Lebensmüde, und man zwang sie gewaltsam ins Dasein zurück. 1941 ging von Ravensbrück aus die Ärztin Jakoby mit Lungentuberkulose auf ,, Krankentransport" ins Gas.

Unter den Politischen in Zelle 4 lernte ich Lotte H. kennen. Sie kam zusammen mit einer alten Frau, die Zuchthauskleidung trug. Ich beobachtete die beiden und sah, wie die junge, lebhafte Lotte sich um das ,, Muttchen" bemühte. Jeder Häftling wird von einer fast krank­haften Munterkeit, wenn sich sein Gefangenendasein plötzlich ändert. Bei Lotte war das besonders auffallend. Vielleicht hatte sie auch eine ganz leise Hoffnung, doch in die Freiheit zu kommen, denn vier Jahre Zuchthaus lagen schon hinter ihr. Mit jungen Jahren war sie als Mitglied der illegalen SAP mit einer ganzen Gruppe zusammen verhaftet worden. Sie hatte für hochverräterische Tätigkeit ein verhältnismäßig mildes Urteil erhalten und war in Einzelhaft gekommen. Beim Spaziergang hatte ihr die Zellennachbarin, eine Kommunistin, einen Kassiber zum Weiterleiten an einen anderen Häftling gegeben. Lotte war erwischt worden. Der Brief habe ein politisches Programm der Kommunisten enthalten. Man hatte den Fall der Gestapo übergeben, und Lotte war erneut in Untersuchungshaft gekommen. Ein Verhör war dem anderen

12 Buber: Gefangene.

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