Es war wohl am dritten Tag nach meiner Ankunft in Berlin , als der Gestapomann Krohne mich zu den gewohnten Aufnahmeformalitäten mit Foto, Fingerabdruck usw. holte. Er saß allein in seinem Büro, als er mich fragte: ,, Haben Sie Angehörige in Berlin ?" ,, Ja, meine jüngere Schwester, aber ich kenne ihre Adresse nicht." Krohne schlug im Telefon­buch nach und fand Namen und Nummer. Ohne weitere Frage telefonierte er: ,, Ist dort Frau X? Warten Sie einen Augenblick, es will Sie jemand sprechen!" und er reichte mir den Hörer. Dieser Krohne ermöglichte es auch, daß meine Schwester und ich wohl anderthalb Stunden im Korridor des Alex miteinander sprechen konnten. Er bewachte uns zwar die ganze Zeit, aber die erlaubte Sprechstunde betrug nur zwanzig Minuten und fand in einem Zimmer statt, das gedrängt voller Menschen war. Einmal bekam ich heftige Zahnschmerzen. Im Polizeigefängnis gab es keinen Zahnarzt, deshalb mußte ich zur Polizei- Zahnklinik gebracht werden. Krohne transportierte mich, aber nicht etwa in der ,, Grünen Minna", wie bei meinen üblichen Fahrten zur Prinz- Albrecht- Straße, sondern mit der Untergrundbahn. Ich ging wie durch einen Nebel und mag wohl mit ganz seltsamen Augen auf die Menschen geblickt haben.

Die verschiedenen Sachbearbeiter, die mich überführen wollten, waren zwar ein anderer Schlag als Krohne, aber die Gestapo methode, wenigstens in meinem Fall", unterschied sich grundsätzlich von den NKWD - Verhören. Dort war alles darauf gerichtet, einen Schuldbeweis ohne Gerichtsverfahren zu konstruieren, bei der Gestapo hingegen prüfte man, ob das Anklagematerial zu einem Gerichtsverfahren ausreiche, wenn nicht, so begnügte man sich mit dem, Verdacht" und stellte einen ,, Schutzhaftschein" aus. Den erhielt ich im Juli 1940, nach vier Monaten Untersuchungshaft, und er lautete: ,, Das Vorleben von M. B. gibt zum Verdacht Anlaß, daß sie sich nach ihrer Rückkehr aus Rußland für die illegale Kommunistische Partei betätigen wird. Die Überführung in ein Konzentrationslager wird angeordnet..."

Danach wurde ich in Zelle 4 verlegt, in der über hundert Frauen auf ihren Abtransport ins Konzentrationslager warteten. Das waren Politische nach fünf und sechs Jahren Zuchthaus, viele jüdische Frauen, Bibelforscher, Rassenschänderinnen", Polenliebchen" oder ,, Bettpolitische", wie man sie auch nannte, dann Asoziale, teils Prosti­tuierte, teils ,, Arbeitsverweigerer" und Kriminelle, die nach verbüßter Straftat meistens zu Sicherheitsverwahrung" ins Konzentrationslager kamen. Die Massenzelle war voller Gerüchte über das Leben im KZ. Angstvoll erzählten die Frauen von Schlägen, von den Polizeihunden, vom stundenlangen Zählappell. Aber ganz besondere Furcht jagte allen das Gerücht ein, daß bei der Einlieferung nach Ravensbrück den Frauen mit Läusen sofort die Haare abrasiert würden. Da hockten nun die In­sassen von Zelle 4 und kämmten einander Stunden hindurch: Sachver­

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